Die Wahrheit des Alligators
Leiche getötet worden. Scheint dir das keine gute Lösung, auch in unserem Fall?«
»Doch, ich finde sie nicht schlecht. Und unten im Keller steht eine Tiefkühltruhe, die für unsere Zwecke geeignet ist … Los, nimm ihn bei den Füßen.«
Während wir die Treppen zum Keller hinunterstiegen, blieb der alte Rossini stehen.
»Der ist schwer, los, mach weiter!« drängte ich. »Warte einen Moment. Ich dachte, wenn er nichts mit diesem Mord zu tun hat, dann vielleicht mit dem ersten auch nicht.«
»Das geht mir zu schnell. Wir müssen uns nur mit diesem hier befassen. Für den anderen, auch wenn es so wäre, ist es zu spät. Er hat die Rechnung schon bezahlt.« Wir vernichteten seine persönliche Habe: Die Drogen in die Klospülung, die Kleider und die Tasche verbrannten wir im Kamin. Das Geld nicht. Das behielten wir als Spesenrücklage für unsere Ermittlungen.
Es war spät in der Nacht, als wir das Haus verließen. Wir mußten dringend schlafen, und Benjamino lenkte den Wagen in Richtung Venedig.
»Bei mir ist es bequemer«, kommentierte er ironisch. Er wußte, daß ich niemand mehr bei mir beherbergte.
Ich steckte eine Kassette in den Recorder des Autoradios. Willie Dixon sang I’am your hoochie coochie man. Er ließ mich das Motiv ein Weilchen mitsummen. »Wirst du der Foscarini sagen, daß Magagnin tot ist?«
»Und daß wir ihn in einer Kühltruhe ›geparkt‹ haben?
Ich denk ja gar nicht dran. Auch weil sie das Spiel nicht durchhalten würde. Vergiß nicht, daß wir sie brauchen, sie verkehrt an Orten, wo wir nicht mal von ferne Zutritt haben. Wir müssen ihr halt ab und zu eine Lüge auftischen, um sie zu beruhigen, wie zum Beispiel, daß ihr Mandant seinen Unterschlupf geändert hat und sie nicht sehen will.«
»Hoffen wir, daß sie das schluckt. Und nun, Sherlock Holmes, wo fangen wir an?«
»Ich habe keinen blassen Schimmer, Watson.« Gleich darauf schlief ich ein.
Mir stieg kräftiger Kaffeeduft in die Nase, großzügig mit Calvados angereichert. Ich schlug die Augen auf und sah Benjamino am Rand meines Bettes sitzen, er hielt mir die Kaffeetasse unter die Nase. »Guten Morgen.«
Ich nahm sie ihm aus der Hand und trank gierig. »Ist noch ein Schluck da?«
Er zeigte auf die Flasche auf dem Nachttisch. »Bedien dich.« Nach einer Zigarette fühlte ich mich bereit, den Tag zu beginnen: Nach dem Licht zu schließen, das durch die Ritzen der Fensterläden drang, würde er heiß und schwül sein wie der vorangegangene und aller Wahrscheinlichkeit nach der folgende auch. Im Veneto ist das immer so: Die Hitze läßt nicht nach, und dann, eines Tages, verschwindet sie ebenso plötzlich, wie sie gekommen ist. »Wie spät ist es?«
»Fast zehn.«
»Neuigkeiten?«
»Das hier«, sagte er und reichte mir eine Tageszeitung mit Paduaner Lokalnachrichten. »Hör mal, ich hätte ein paar dringende Besorgungen zu machen. Was hältst du davon, wenn wir nach dem Mittagessen aufbrechen?«
»In Ordnung, so versuche ich unterdessen, auf ein paar gute Ideen zu kommen.«
Die Fotos von der Belli und Magagnin waren auf der ersten Seite. Die Bildunterschrift lautete: Geschworene aus Rache ermordet: Alberto Magagnin, der schon 1976 für den Mord an Evelina Mocellin Bianchini verurteilt wurde, wird auch dieses neue grausame Verbrechen zur Last gelegt … Die ausführlicheren Berichte nahmen innen zwei ganze Seiten des Lokalteils ein. Ich las sämtliche Artikel aufmerksam durch. Der Fall war schon gelöst, um ihn zum Abschluß zu bringen, brauchte man der Justiz jetzt nur noch den Schuldigen zu liefern, dessen Stunden wie üblich gezählt waren. Mordkommission, Carabinieri und Untersuchungsrichter gaben sich sehr sicher und zuversichtlich: Fingerabdrücke, Vorgehensweise und das Tatmotiv der Rache nagelten Magagnin unausweichlich fest.
Der Kommentar befaßte sich, wie erwartet, mit der Gefängnisreform, war aber gar nicht so übel. Obwohl er davon überzeugt war, daß ein Rechtsstaat ohne Gefängnisreform nicht auskommen kann, hielt der Autor es gleichwohl für wünschenswert, daß die Richter bei der Beurteilung der Voraussetzungen, die der Strafgefangene erfüllen mußte, um Freiheit auf Bewährung zu bekommen, strengere Maßstäbe walten ließen, insbesondere im Hinblick auf seine psychische Gesundheit. Dann folgte ein ausführlicher Bericht über den Prozeß von 1976. Auf den Fotos von damals aus dem Gerichtssaal waren die Gesichter des Angeklagten und der Geschworenen eingekreist. Wenn auch um fünfzehn Jahre
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