Die Wahrheit des Alligators
und den Jungen wie eine Marionette benutzt und ihn so weit gebracht hat, daß er sich die Venen mit Heroin vollpumpte, bis es ihm das Herz zerriß. Du weißt ja, daß ich nicht zum Richter gehen und sagen kann, ich bin nicht einverstanden mit dem, was im Gutachten über die Uhr der Belli steht. Ich würde bloß ’ne Menge Ärger kriegen, und kein Mensch würde mir glauben.«
»Jetzt ist er aber nun mal tot, Marco. Was soll er mit seiner Unschuld anfangen?«
Ich konnte meine Wut nicht mehr bremsen. »Was?« schrie ich. »Er hatte die Chance, von vorne anzufangen, und ausgerechnet da haben sie ihn reingelegt. Alle! Die Belli, die mit seinem Leben herumspielte, der Mörder, der ihn reingelegt hat, die Justiz, die Jagd auf ihn macht, und das Heroin, das ihn umgebracht hat. Hier geht es nicht darum, Räuber und Gendarm zu spielen, sondern darum, die Wahrheit ans Licht zu bringen. Er war unschuldig. Er hat ein Recht darauf, daß ihm Gerechtigkeit widerfährt, auch wenn er tot ist.«
»Die Gerechtigkeit, die du nicht bekommen hast, stimmt’s?«
»Was hat das jetzt damit zu tun?« brauste ich auf, irritiert davon, daß Benjamino mein Leben mit dem Magagnins verglich. »Auch du warst der ideale Sündenbock: Student weit über die Regelstudienzeit, Blues-Sänger, der gerne zu tief ins Glas schaut, nicht eben makellose Sitten und einen Haufen krauser Ideen im Kopf. Sie haben sich nicht mal die Mühe gemacht zu überprüfen, ob du mit dem Typen, den du aufgenommen hast, etwas zu tun hattest oder nicht, sie haben dir lediglich vorgeschlagen, zu ›widerrufen‹ und Leute, die du nicht mal kanntest, in den Knast zu bringen ….«
»Herrgott, Benjamino, worauf willst du hinaus?«
»Dir Lebensart beibringen will ich, denn manchmal benimmst du dich wie ein blutiger Anfänger. Schau doch nur, wie du den armen Kerl hier behandelt hast. Sobald er dir unter die Augen gekommen ist, hast du ihn fertiggemacht, daß er nicht mal mehr Piep sagen konnte. Er sagte dir, er sei unschuldig, und du hast ihm ins Gesicht gelacht. Jetzt hast du ein schlechtes Gewissen, fühlst dich mies wegen dem, was du getan hast, und willst mit deinem Gewissen ins reine kommen, indem du den Mörder findest. vorausgesetzt, es gibt einen Mörder. Aber du vergißt dabei eines: Die Justiz hat ihre Regeln, und eine davon ist, daß man sie nicht auf ihrem eigenen Gebiet herausfordern soll. Du kannst versuchen, sie zu umgehen, aber nicht, sie herauszufordern. Dieser Kreuzzug von dir auf der Suche nach dem Schuldigen ist ein Luxus, der dich teuer zu stehen kommen kann, vor allem, wenn dabei Bullen, Anwälte und ihr Gefolge in ein schlechtes Licht geraten. Merk dir, daß du kein ›Regulärer‹ bist, keiner, der es sich erlauben könnte, die Rolle des entrüsteten Bürgers zu spielen. Typen wie dich und mich nennt man Vorbestrafte. Wir sind der Abschaum der Gesellschaft. Die können uns fix und fertig machen. Wie und wann sie wollen.«
»Hör auf, den abgeklärten Gangster zu spielen. Antworte mir: ja oder nein?«
»Ja, ich laß dich in diesem Schlamassel nicht allein, aber ich tue es ausschließlich, weil du in der Schuld des Jungen stehst und ich in deiner. Und nur unter einer Bedingung: daß wir uns bedeckt halten. Sollte irgendwas sein, wird die Anwältin mit dem Richter reden. Einverstanden?«
»Einverstanden.« Ich drückte ihm die Hand und küßte ihn auf die Wangen. Er wußte, daß ich diese Rituale der Unterwelt haßte, so gab er mir mit selbstgefälliger Miene einen kräftigen Schlag auf die Schulter. Wir rauchten schweigend unsere Zigaretten. »Es ist das erste Mal, daß ich dich so nachdenklich seh, Benjamino«, sagte ich zu ihm. »Es ist das erste Mal, daß ich mich außerhalb der Spielregeln bewege, und das gefällt mir überhaupt nicht. Ich fühl mich nicht wohl … das riecht übel nach Ärger. Und dabei fällt mir ein daß auch der hier bald übel riechen wird. Hast du dir überlegt, wo wir ihn hinpacken können?«
»Beim Lesen des Gutachtens hatte ich eine Idee. Erinnerst du dich an die Bande von Lallo dem Hinkenden, dem Römer? Sie haben einen Industriellen entführt, haben ihn umgebracht und dann in eine Tiefkühltruhe gesteckt. Wenn sie ein Foto machen mußten, um der Familie zu zeigen, daß er noch am Leben war, holten sie ihn raus, drückten ihm ’ne aktuelle Tageszeitung in die Hand, machten das Foto, und dann wieder ab ins Eisfach. Nicht mal die Gerichtsmediziner haben es bemerkt, sie glaubten, er sei erst 24 Stunden vor Auffinden der
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