Die Wahrheit des Alligators
Polizei‹, dachte ich. Der Mann kam aber nach etwa zwanzig Minuten wieder heraus und machte sich schnell davon. Das war bestimmt Magagnin.«
»Das war ich«, unterbrach ich ihn. »An diesem Punkt haben Sie, glaube ich, das Recht zu erfahren, wo Ihr Plan gescheitert ist. Ich suchte Magagnin, fand hingegen die Leiche von Piera Belli. Zufällig schaute ich auf die Uhr. ich weiß auch nicht, warum … vielleicht, weil ich’s im Kino gesehen hab. Jedenfalls fiel mir ein paar Tage später ganz zufällig der Bericht des Gerichtsmediziners und der Spurensicherung in die Hände, und da war ein Foto von der Uhr dabei. An den verstellten Zeigern erkannte ich, daß hier jemand die Karte des perfekten Verbrechens ausspielte.«
Artoni schlug die Hände vors Gesicht. »Der Zufall. Der Zufall hat mich ruiniert«, murmelte er untröstlich. Eine Weile lang schien er sprachlos.
»Wo hielt sie die Fotos und Briefe versteckt?« fragte er schließlich.
»In dem Raum, wo Sie sie ermordet haben, im Arbeitszimmer, in einem Kämmerchen hinter der Bücherwand.« Er sprang auf und fing an zu schreien: »Diese dreckige Hure hat sich über mich lustig gemacht, selbst dann noch, als sie begriff, daß ich sie umbringen würde. Sie wußte, daß jemand die Fotos finden und mich fertigmachen wür de.«
Er hatte die Kontrolle verloren, man würde sein Geschrei womöglich im ganzen Haus hören. Der alte Rossini löste die Situation auf seine Art: Er nahm die Telefonbücher wieder in die Hand und schlug sie ihm so lange auf den Kopf, bis Artoni auf dem Schreibtisch zusammensackte.
Dann drehte er sich etwas atemlos zu mir: »Schnell, nimm den Recorder, und hauen wir ab.«
Ich war schon im Begriff, das Polaroidfoto wieder einzustecken, aber ich überlegte es mir anders und steckte es Artoni in die Jackentasche.
»Betrachten Sie es als Geschenk, Herr Professor, zum Andenken an unsere Begegnung«, verabschiedete ich mich von ihm, während wir hinausgingen.
Ich versuchte gerade, mich bei den Tönen von Coming Home von Fleetwood Mac zu entspannen, als Benjamino den Knopf drückte, um die Kassette aus dem Recorder des Autoradios zu nehmen. »Ich will mir noch einmal das Band mit dem Geständnis von Artoni anhören.«
»Ausgerechnet jetzt«, protestierte ich. »In knapp dreißig Kilometern sind wir bei dir zu Hause.«
»Jetzt, Marco. Ich habe das Gefühl, es ist uns da was Wichtiges entgangen.«
Ehrlich gesagt hatte ich überhaupt keine Lust, mir das, was im Büro des Gerichtsmediziners gesagt und getan worden war, ohne die beruhigende Wirkung einer anständigen Dosis Calvados noch einmal anzuhören. Übrigens hatte ich erreicht, was ich wollte, der Mörder war identifiziert, blieb nur noch zu entscheiden, wie wir die Sache zum Abschluß bringen wollten. Wie wir Artoni bestrafen und die Leiche Magagnins auftauchen lassen konnten.
Ich war mit Recht zufrieden. Noch wußte ich nicht, wie sehr ich mich täuschte.
Besonders peinlich war es, Benjamino noch einmal Crapa Pelada singen zu hören. Mein Freund nestelte verlegen an seinen Armkettchen am linken Handgelenk, und zum Schluß platzte er heraus: »Verdammt, Marco, du hättest den Recorder ruhig ausschalten können in dem Moment!« Das Band lief weiter. Artoni hatte soeben vom Auftreten und der Rolle des Anwalts der Verteidigung und des zweiten Ehemanns des Opfers erzählt, als mein Freund sagte: »Spul ein Stück zurück, ich will diesen Teil noch mal hören.«
»Warum?« fragte ich verwundert.
»Kommt dir das nicht merkwürdig vor, daß Sartori und Ventura sich Artoni gegenüber so ins Zeug gelegt haben? Es wäre doch völlig ausreichend gewesen, ihm zu versichern, daß sie ihn wegen des falschen Gutachtens nicht bloßstellen würden. Statt dessen haben sie ihm versprochen, ihm bei seiner Karriere weiterzuhelfen – und so ist es auch gekommen –, sie haben ihn auf ihren Karren gehievt, und er seinerseits hat den Sachverständigen der Verteidigung und diesen Ferrini mitgezogen. Und all das bloß, um diesen Prozeß mit einem schönen, schweren Deckel zu versehen. Eine etwas komplizierte Vorgehensweise, wenn man bedenkt, daß lediglich ein Irrtum vertuscht werden sollte, findest du nicht auch?«
»Kann sein. Es könnte sich aber auch um ganz alltägliche Vorgänge handeln. In diesen Kreisen tun die doch ohnehin nichts anderes, als Lobbys, Seilschaften und Freimaurerlogen zu gründen oder sich in Organisationen wie der der Ritter vom Orden der Heiligen Konstanze zusammenzuschließen.«
»Nein.
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