Die Wahrheit stirbt zuletzt
blieb laut jammernd liegen.
Ich fasste Mads an der Schulter und schob ihn neben mir her. Er drehte sich noch einmal um und blickte zu seinem Freund zurück, woraufhin ich noch energischer an ihm zerrte. Aber bereits nach wenigen Metern konnte man vor lauter Staub und Rauch im Tunnel die Hand nicht mehr vor Augen sehen. Wir zogen uns unsere Schals vors Gesicht und gingen vorwärts. Ich ging voran. Mads hielt sich an meinem Gürtel fest wie ein kleines Kind, dassich auf einem überfüllten Bahnsteig an seinem Vater festklammert. Auf dem Boden lagen Felsbrocken, aber die Tunneldecke hatte anscheinend standgehalten. Das war zwar schlecht für die Republik, aber gut für uns. Hinter uns hörten wir Schüsse und das dumpfe Geräusch explodierender Handgranaten. Wir näherten uns dem Ausgang. Zumindest die Schienen waren gesprengt worden und lagen zerrissen und zerstört auf dem Boden herum.
Mads ließ meinen Gürtel los, schnallte sich seinen Karabiner auf den Rücken und zog seine Pistole. Ich entsicherte mein Gewehr, und wir gingen langsam auf die Tunnelöffnung zu. Durch den umherwirbelnden Staub konnten wir sie als einen schwach leuchtenden Fleck erkennen. Wir tasteten uns an der Tunnelwand entlang, gingen auf die Knie und krochen auf allen vieren voran.
Vor dem Tunneleingang standen nur drei Männer und rauchten. Zwei von ihnen sahen auf die Straße hinunter, während sich der dritte seinen Kameraden zugewandt hatte und sich mit ihnen unterhielt. Ihre Waffen hielten sie nachlässig in der Hand. Die Lastwagen, die unten auf der Landstraße gehalten hatten, waren an das andere Ende des Tunnels gefahren. Die Legionäre bereiteten sich auf ihren Sturmlauf vor.
Mads streckte zwei Finger in die Luft und deutete nach rechts und auf sich selbst.
Wir erhoben uns gleichzeitig, als wir hörten, wie die Schusswechsel am anderen Ende des Tunnels an Intensität zunahmen. Ich schlug mit dem Gewehrkolben auf den Kopf des Legionärs ein, der mit dem Rücken halb zu uns dastand. Er trug nur ein Barett, sodass der Gewehrkolben seine Schädeldecke zerschmetterte und ich eine Gewehrkugel sparte. Der Legionär, der in den Tunnel hineinschaute, starrte uns für einen Moment völlig verblüfft an, als wir uns erhoben hatten und wie zwei Dämonen in dem gelben, flackernden Licht vor ihm aufgetaucht waren.Mads hielt seine Pistole mit beidhändigem Anschlag und schoss ihm aus zwei Meter Entfernung ins Auge. Den anderen traf er mitten in die Stirn und in die Brust. Sie sanken beide zu Boden.
Ich trat in das graue Winterlicht hinaus. Es war niemand zu sehen. Auch die Landstraße unter uns war leer. Ein Stück weiter weg konnte ich den Granatenwerfer erkennen, aber die Artilleristen blickten alle zum anderen Ende des Tunnels. Ich hörte Schusssalven und explodierende Granaten, als ich, gefolgt von Mads, begann, dicht am Berghang entlangzulaufen, während ich versuchte, nicht an Karl-Heinz zu denken. Unser Selbsterhaltungstrieb drängte uns vorwärts und verlieh uns Kraft. Ich hoffte, Karl-Heinz würde jetzt in den Tunnel hinein- und hinter uns herlaufen, aber im Grunde glaubte ich nicht daran. Er hatte keine Heimat mehr, und vielleicht war das der Grund, warum er sich für uns opferte.
Wir liefen einen halben Kilometer weiter bis zu einem Felsvorsprung, den die Schienen in einem leichten Bogen umrundeten. Wir atmeten schwer, aber allmählich kehrte mein Glaube daran zurück, dass wir es schaffen konnten, wenn wir nur eine Möglichkeit fänden, von der Bahnlinie weg- und den Berg hinaufzugelangen.
Wir folgten der Kurve, und da stand Rafael. Er starrte uns so verblüfft an, wie dies mit seinem unergründlichen, regungslosen Gesicht überhaupt möglich war. Sein Jagdgewehr ruhte geöffnet in seiner Armbeuge, als käme er gerade von einer friedlichen Hasenjagd.
Mads reagierte blitzschnell, stürzte sich auf ihn und schmetterte ihm seine rechte, behandschuhte Faust ins Gesicht, sodass Rafael nach hinten gegen die Felswand knallte. Trotz des Baretts machte sein Hinterkopf ein dumpfes Geräusch, als er auf einem spitzen Felsstück aufschlug. Mads hörte nicht auf, sondern riss sich den Handschuh ab und schlug immer wieder mit der nackten Faust auf ihnein. Rafaels Augenbraue bekam einen Riss, und seine Nase brach. Mads hielt Rafael mit der linken Hand fest und zog mit der rechten seine Pistole hervor.
Ich weiß nicht, ob er sie als Knüppel benutzen wollte oder ob er Rafael kaltblütig als den verräterischen Hund erschießen wollte, der er war,
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