Die Wahrheit stirbt zuletzt
Nähe wir uns befanden, waren jetzt ebenfalls Schüsse zu hören, das bellende Geräusch von Vincentes und Federicosrussischen Gewehren. Der Feind kam eindeutig von beiden Seiten.
Mads sprang herunter und hob sein Gewehr auf. Ich tat dasselbe. Am anderen Ende des Tunnels sahen wir Karl-Heinz geschmeidig auf dem Boden aufkommen, seine Silhouette zeichnete sich im Gegenlicht ab. Er lief erst gebeugt im Zickzack auf uns zu, richtete sich dann auf und rannte, das Gewehr in der Hand, so schnell er konnte. Wir hörten Henris Maschinengewehr, mit dem er unerschrocken immer wieder kurze Salven abfeuerte.
»Was zum Teufel ist hier los?«, rief Mads auf Deutsch, und Karl-Heinz antwortete wortreich, wovon ich allerdings kaum etwas verstand. Er war weiß im Gesicht und rang nach Luft. »Es ist Rafael«, sagte Mads auf Dänisch. »Er ist weg. Er hat uns verraten. Es sind Fremdenlegionäre. Sie haben die ganze Nacht auf uns gewartet. Sie haben sowohl Vincente als auch Federico beseitigt, sagt Karl-Heinz.«
Vor Francos Fremdenlegionären hatten wir Respekt. Das waren keine gewöhnlichen Rekruten, sondern gedungene, brutale Teufel, die keine Gnade kannten. Die Legion setzte sich aus verschiedenen Nationalitäten zusammen, aber den Großteil machten die Spanier aus. Viele von ihnen waren ehemalige Kriminelle. Die Legionäre und die marokkanischen Hilfstruppen der Afrika-Armee hatten bereits seit dem Aufstand im Juli 1936 auf Francos Seite gekämpft, und auch wenn wir sie hassten wie den Teufel persönlich, mussten wir zugeben, dass sie ausgezeichnete und furchtlose Soldaten waren.
Karl-Heinz sagte, dass es sich ohne Zweifel um einen Hinterhalt handle. Sie konnten den einen Verteidigungsposten von einem Vorsprung aus beschießen, der sich direkt über uns befand. Die Scharfschützen hatten die Katalanen erwischt. Die Fremdenlegionäre rückten auf beiden Seiten des Tunnels an den Schienen entlang vor.Unten auf der Landstraße hielten vier Lastwagen mit weiteren Trupps, und sie waren dabei, einen der deutschen Granatenwerfer in Position zu bringen. Die ganze Aktion musste geplant gewesen sein. Ob das Hauptquartier uns verraten hatte oder Rafael, spielte keine Rolle. Wir waren erledigt.
Die Schüsse nahmen zu. Mads schaute mich an. Ich schaute auf die Dynamitstangen, die wir bereits angebracht hatten. Sie würden den Tunnel kaum zum Einsturz bringen, aber sie würden auf jeden Fall das Vorrücken der Legionäre auf der einen Seite verlangsamen. Ich verband die Leitungen miteinander, so schnell ich konnte, während Mads und Karl-Heinz sich zum Tunneleingang begaben und auf die vorrückenden Faschisten schossen. Henri musste die andere Seite sichern. Die Schüsse dröhnten im Tunnel, während ich an den Schienen entlang und zwischen den Bahnschwellen Dynamitstangen so auslegte, dass sie mit den Stangen verbunden werden konnten, die wir an den Tunnelseiten angebracht hatten. Wir hatten es nicht mehr geschafft, die entscheidenden Dynamitstangen oben an der Decke zu befestigen, aber die Bahnlinie würde in jedem Fall in die Luft gesprengt werden.
Ich setzte die Zündsätze ein, befestigte eine Zündlunte mit einer Brennzeit von weniger als zwei Minuten und zündete sie mit meinem Luntenfeuerzeug an. An den Schusssalven konnte ich hören, dass Henris Verteidigungsposten jetzt intensiver beschossen wurde, und es war befremdlich, sich im Inneren des Tunnels zu befinden und nicht sehen zu können, was sich draußen abspielte. Karl-Heinz und Mads schossen ebenfalls.
Es war typisch für die Legionäre, immer furchtlos anzugreifen. Sie pflegten einen Todeskult, bei dem sich alles um Blut und Ehre drehte. »Lang lebe der Tod«, war ihr Wahlspruch. Feigheit wurde sofort bestraft, und die, die nicht mit Freude töteten, wurden ausgeschlossen oder aufder Stelle hingerichtet. Es war also nicht verwunderlich, dass unsere Herzen rasten. Alle haben im Krieg Angst, und nur weil wir unsere Angst besser kontrollieren können, werden wir von den anderen als tapfer bezeichnet. Aber eine Wahnsinnsangst haben wir trotzdem alle miteinander.
Ich brüllte nach Mads und Karl-Heinz. Letzterer richtete sich ganz auf und warf eine Handgranate auf die Gleise draußen. Die Legionäre mussten sich unmittelbar in unserer Nähe befinden. Mads warf ebenfalls eine Granate, bevor er hinter Karl-Heinz herrannte.
Sie liefen ein Stück auf mich zu. Ich machte auf dem Absatz kehrt und lief ihnen auf den Bahnschwellen entgegen in die Richtung, wo mir die Tunnelöffnung
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