Die Wahrheit stirbt zuletzt
Schmerzensschreie hören, die sich zu einem Brüllen steigerten, ebenso wie er meine gehört haben musste. Sie verstanden sich nämlich darauf, einem in einer Weise Schmerzen zuzufügen, dass man trotzdem bei Bewusstsein blieb.
Im Laufe der Nacht dämmerte ich immer mal wieder vor mich hin. Ich wusste, dass der Tag begonnen haben musste, als ein schwaches Licht durch das Fenster oben unter der Decke hereindrang. Als die Tür sich öffnete, verkroch ich mich in einer Ecke der Zelle. Ein fetter Mann mit einem dünnen Schnurrbart kam herein. Er sagte kein Wort, sondern stellte nur einen Blechteller mit einem Kanten Brot und einen Becher mit bräunlichem Wasser vor mich auf den Boden.
Eine Stunde später kamen die drei Kerle, um mich zu holen. Ich konnte kaum stehen, aber sie packten michunter den Achseln und schleiften mich durch den langen Gang, quer über den Hof und in das hinein, was früher einmal die Residenz des Priors gewesen sein musste. Es war wieder ein kalter Morgen, und ich spürte, dass Schnee in der Luft lag. Ich ging davon aus, dass dies der letzte Morgen meines Lebens war, und auf einmal verspürte ich eine absurde Sehnsucht nach richtigem Schnee und empfand große Trauer darüber, dass ich nie wieder erleben würde, wie es schneite.
Es war ein großer, kahler Raum mit einer hohen Decke mit freigelegten Dachbalken. Darin stand ein breiter alter Schreibtisch mit einer grünen Lampe und davor ein Stuhl mit einer hohen Lehne, der am Boden festgeschraubt war. Hinter dem Schreibtisch saß der deutsche Offizier. Er war vermutlich um die dreißig, mit blondem, kurz geschnittenem Haar und einem spitzen Kinn, das das ohnehin schon lange Gesicht noch mehr in die Länge zu ziehen schien. Seine Uniform war schwarz. Er trug seine Luger am Gürtel. Hinter ihm standen zwei Soldaten in gewöhnlichen Uniformen, und die drei Schläger blieben hinter mir an der Tür stehen. Der Offizier hatte ein Blatt Papier vor sich.
»Sprechen Sie Deutsch?«, fragte er in ebenjener Sprache.
»Nur ein bisschen.«
»Dann Englisch?«
»Gar nicht.«
Er sah mich mit seinen blauen Augen an, die tief in den Höhlen lagen, und fuhr in einem sehr langsamen Deutsch fort: »Du bist also ein Idiot. Dein Name und deine Nationalität, Spion.«
»Bertil Johansson. Schwede. Soldat im Thälmann-Bataillon, 4. Kompanie.«
»Glaubst du, ich bin auch ein Idiot? Du bist ein Spion und Saboteur, und du wirst hingerichtet werden.«
Er sagte etwas in einem sehr schnellen Spanisch, das ich nicht verstand. Einer der Kerle, die an der Tür standen, antwortete. Der Offizier legte seinen Bleistift hin, strich sich mit einer müden Geste über das Gesicht und sagte: »Wie ich höre, spricht dein Kamerad aber Deutsch. Er hat auf Deutsch geflucht, verstehst du?«
Ich sagte nichts.
»Du bist ein Idiot. Ich spreche später mit dir.«
Er sagte erneut etwas auf Spanisch. Diesmal verstand ich es. Er sagte, sie sollten den anderen Spion holen, aber zuerst sollten sie dafür sorgen, dass die idiotische Schwuchtel hier den Ernst der Lage begriff. Und dann sollten sie, wenn möglich, einen Fremdenlegionär auftreiben, der eine der nordischen Sprachen sprach.
Sie zerrten mich in die Zelle zurück, nahmen mich erneut in die Mangel und ließen mich wieder in meinem Blut, Erbrochenen und Kot auf dem Boden zurück, aber die Tatsache, dass ich außer meiner nordschwedischen Muttersprache keine andere Sprache richtig beherrsche, hat mir zweifelsohne das Leben gerettet.
Ich hörte, wie sie Mads abholten. Und ich hörte auch, wie sie ihn zurückbrachten. Seine Füße schleiften über den Boden, aber ich konnte ihn nicht sehen. Mich ließen sie in Ruhe.
Ich bekam noch einen Becher Wasser und eine dünne Suppe. Die Nacht brach herein, und abwechselnd lag ich wach und schlief – es waren lange und schwere Stunden. Dann wurde es wieder Morgen. Der fette Wärter brachte mir wieder einen Becher Wasser, aber diesmal kein Brot. Ich hörte erneut, wie sie Mads abholten, und ich war verzweifelt und aufgewühlt und vollkommen hilflos.
Eine Stunde später ging das Ganze dann los.
Später erfuhr ich, dass die Republik am 15. Dezember 1937 mit ihrer Offensive gegen Teruel begonnen hatte. Trotz der Folter hat Mads offensichtlich nichts verraten,denn die Offensive traf Franco völlig unvorbereitet. Über einhunderttausend reorganisierte republikanische Soldaten gingen zum Angriff über, umzingelten Teruel im Laufe des Tages und brachten den Höhenzug La Muela de Teruel unter ihre
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