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Die Wahrheit über Alice

Die Wahrheit über Alice

Titel: Die Wahrheit über Alice Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca James
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kann   –, höre ich einfach nicht hin. Ich beschließe, zumindest für heute Nacht, die Seite von mir zu ignorieren, die alles missbilligt,
     was ich mir wünsche. Ich bin ausgelassen und unbekümmert. Ich bin Katie Boydell. Bloß für eine Nacht. Jung und glücklich und
     ungestüm. Katie. Lustig und draufgängerisch. Katie. Bloß |46| für diesen einen Abend ist Katherine verschwunden, und ich kann ich sein.
    Und so kichern wir und tanzen und umarmen uns von Song zu Song, bis unsere Gesichter vor Schweiß glänzen und wir Durst kriegen
     und in die Küche gehen müssen, um Wasser zu trinken. Als wir nicht mehr tanzen mögen, ziehen wir die Polster vom Sofa und
     bauen uns ein Bett aus Kissen und Decken und lassen uns darauf fallen. Wir reden bis drei Uhr morgens – und unser Schlaf ist
     der Schlaf der Erschöpften, schwer und tief und reglos, wir drei eng zusammen, Beine ineinander verschlungen, Gesichter aneinandergeschmiegt.
    Als ich wach werde, hat sich Alice neben mir klein zusammengerollt. Sie liegt auf der Seite in Embryonalhaltung, die Hände
     vor dem Gesicht zu Fäusten geballt. Sie sieht aus wie ein schlafender Engel, der sich zum Kampf bereitmacht, ein seltsam unschuldiger
     kleiner Boxer. Sie atmet schnell und flach, und ich kann ein kleines hohes Piepsen aus ihrer Nase hören, wenn die Luft ein
     und aus strömt. Ihre Augenlider flattern, und ich sehe, wie sich ihre Augäpfel unter den Lidern bewegen. RE M-Schlaf . Träume.
    Ich stehe langsam und so leise ich kann auf. Ich trage noch Rock und T-Shirt . Ich gehe schnurstracks ins Bad und dusche.
    Anschließend ziehe ich mich wieder an und gehe in die Küche.
    Robbie steht schon an der Spüle und macht den Abwasch. Er ist fast fertig mit dem restlichen Stapel vom Abend zuvor – mit
     dem Chaos, das Alice versprochen hatte zu beseitigen.
    «Hey», sage ich. «Danke. Aber das musst du wirklich nicht.»
    «Guten Morgen.» Er schaut auf und grinst, und trotz der zerzausten Haare und blutunterlaufenen Augen sieht er noch immer unglaublich
     gut aus. «Kein Problem. Macht mir nichts |47| aus. Ich spül sogar ganz gern. Als Kind hab ich meiner Mutter oft dabei zugesehen. Ich fand das immer lustig. Die vielen Seifenblasen.
     Das Wasser.» Er hebt eine Seifenblase mit der flachen Hand hoch, bläst auf sie, und sie fällt zurück in die Schüssel. «Wie
     fühlst du dich? Bist du müde? Wir haben höchstens vier Stunden geschlafen.»
    «Ja, ich weiß. Ich bin ein bisschen angeschlagen. Wie geht’s dir?»
    «Fabelhaft. Fit für einen Tag mit Fußballtraining und einen langen Abend im Restaurant, um Arschlöcher zu bedienen.»
    «Du Ärmster. Leg dich lieber nochmal hin.»
    «Nein, nein.» Er zuckt die Achseln. «Ich bin das gewohnt. Tasse Tee? Ich hab Wasser aufgesetzt.»
    «Furchtbar gern. Aber den mach ich. Ich bin sehr pingelig in Sachen Tee.»
    «Ach ja?»
    «Ich trinke nur richtigen, also mit losem Tee in der Kanne und so. Deshalb halten mich viele für verrückt. Meine Pingeligkeit
     nervt alle. Deshalb mach ich ihn lieber selbst, das ist einfacher.»
    «Cool. Ich finde losen Tee auch viel besser. Hat mehr Aroma. Meine Mum konnte Teebeutel nicht ausstehen. Die hat auch nur
     losen Tee getrunken.»
    «Hat?»
    «Sie ist gestorben.» Er blickt nach unten auf seine Hände, die ins Wasser getaucht sind. «Vor etwas mehr als einem Jahr.»
    «Oh, Robbie. Das tut mir leid. Das wusste ich nicht.»
    «Nein», sagt er. «Natürlich nicht.»
    Ich könnte es dabei bewenden lassen, das Thema wechseln und über etwas Angenehmeres sprechen, etwas weniger Intensives, aber
     genau das haben immer alle getan, als Rachel starb. Ich weiß noch, wie seltsam und schmerzlich es war, wenn das |48| Thema ihres Todes einfach beiseitegeschoben und verworfen wurde, als hätte es keine größere Wichtigkeit als ein Gespräch über
     das Wetter. Daher wechsele ich das Thema nicht.
    «Sie fehlt dir bestimmt sehr, was?»
    «Ja.» Er blickt auf, und seine Augen sind tränennass. Er lächelt traurig. «Ja, sehr.»
    «Und dein Vater? Wie kommt der klar?»
    «Ganz gut, glaube ich. Aber genau weiß ich es ehrlich gesagt nicht. Ich meine, ich will ihn nicht direkt fragen.»
    «Wieso nicht?»
    «Weil, was ist, wenn es ihm nicht gutgeht? Was dann? Was könnte ich schon dagegen machen?»
    Ich hüte mich, irgendwelche banalen Floskeln von mir zu geben, ihm mit der Lüge zu kommen, Worte könnten heilen. Weil ich
     weiß, dass das nicht stimmt, sie können nicht heilen. Worte sind bloß Worte,

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