Die Wahrheit über Alice
kleiner Herzensbrecher.
Viele Mädels haben ihn angeschwärmt.»
Ich bin ehrlich fasziniert von dem, was Philippa da erzählt, denn im Augenblick könnte mich kein Thema brennender interessieren, |233| aber es fällt mir unsäglich schwer, mich zu konzentrieren.
«Kann ich mir denken», sage ich. Ich spüre, wie Galle in der Kehle aufsteigt.
«Alles in Ordnung mit dir?», sagte Philippa. «Du bist weiß wie ein Gespenst.»
«Nein.» Und plötzlich muss ich vom Tisch aufstehen. Ich stürze ins Bad und schaffe es gerade noch rechtzeitig zum Klo, wo
ich das bisschen, was ich von der Pizza gegessen habe, wieder erbreche.
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M ick hat fünf Tage frei, und wir verbringen praktisch jede Minute zusammen. Er übt seine Musik, und wir gehen zusammen einkaufen,
aber sonst verkriechen wir uns bei ihm. Wir reden viel. Mick erzählt mir von seiner Kindheit, von seinen Zukunftsträumen,
von seiner Begeisterung für Musik. Ich erzähle ihm von meiner Kindheit, von dem Leben vor Rachels Tod und von dem Leben danach.
Wir sind beide ungeheuer neugierig aufeinander, und obwohl ich Micks Zimmer kaum verlasse, kommt es in den ganzen fünf Tagen
nicht ein einziges Mal vor, dass ich mich langweile oder unruhig werde oder lieber woanders wäre.
An Micks letztem freien Tag rufen wir Philippa an und verabreden uns zum Frühstück in einem Café nicht weit von uns. Als wir
eintreffen, sitzt sie bereits an einem der Tische. Sie trägt ein gelbes Kleid und hat die Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden.
Sie sieht hübsch aus und frisch, und ich komme mir in meinem zerknautschten T-Shirt und der Jeans im Vergleich zu ihr furchtbar schmuddelig vor.
Sie ist fröhlich und redselig, und durch ihre Energie wird mir bewusst, wie unwohl ich mich körperlich fühle, und das schon
seit mehreren Tagen. Normalerweise finde ich Philippas übersprudelndes Temperament erfrischend, aber heute kostet es mich
all meine Energie, ihrer Flut von Neuigkeiten zu lauschen und mit dem erforderlichen Maß an Interesse oder Begeisterung zu
reagieren. Insgeheim wünsche ich mir nichts sehnlicher, als |235| zurück zu Mick nach Hause zu gehen und mich gleich wieder schlafen zu legen.
Als unser Essen kommt – wir haben French Toast und Kaffee bestellt –, habe ich wieder dieses unverkennbare Gefühl. Der Speichel läuft mir im Mund zusammen, und der Geschmack von Galle breitet
sich in meiner Kehle aus.
«O nein.» Ich springe auf und presse mir die Hand vor den Mund. «Entschuldigt, Leute.» Ich haste zur Toilette, beuge mich
über die Kloschüssel und würge. Doch weil ich nichts gegessen habe, kommt nur ein dünner Schwall Galle.
«Katherine. Alles in Ordnung?», höre ich Philippas Stimme direkt hinter mir. Ich spüre ihre Hand auf dem Rücken. «Du Ärmste.»
Ich stehe auf, gehe zum Waschbecken, spüle mir den Mund aus und wasche mir das Gesicht. Ich schaue mich im Spiegel an und
bin schockiert, wie blass und abgespannt ich neben Philippa aussehe, und ich frage mich einen Moment lang, ob ich vielleicht
todkrank bin. Vielleicht ist es mein Schicksal, jung zu sterben, genau wie Rachel.
«Neulich hast du dich auch schon übergeben», sagt Philippa. «Hast du eine Lebensmittelvergiftung? Oder irgendein Virus?»
«Keine Ahnung.» Ich zucke die Achseln, schöpfe mir Wasser in den Mund und schlucke es herunter. Hoffentlich kann ich es bei
mir behalten.
«Du solltest wirklich mal zum Arzt gehen.»
Ich nicke.
«Vielleicht bist du ja auch schwanger.» Sie lacht.
Schwanger. Philippa wollte bloß einen Scherz machen. Aber als sie das Wort ausgesprochen hat, bin ich mir ganz sicher, dass
genau das mit mir los ist. Es würde eine Menge erklären – die Übelkeit, die kommt und geht, die lähmende Müdigkeit, meine |236| empfindlichen, geschwollenen Brüste. Und ich kann mich beim besten Willen nicht erinnern, wann ich zuletzt meine Tage hatte.
«Ach, du Schande», sage ich.
«Ach, du Schande was?» Wir blicken einander im Spiegel an, und dann werden Philippas Augen größer, als sie den Ausdruck auf
meinem Gesicht sieht. «Was? O Gott. Schwanger? Im Ernst? Echt? Ist das möglich?»
«Scheiße. Scheiße.» Ich schüttele den Kopf. «Ich weiß nicht. Aber ich …»
«Wann hattest du zuletzt deine Tage?»
«Das ist es ja. Ich kann mich nicht erinnern. O Gott, Philippa. Ich kann mich nicht erinnern, überhaupt jemals meine Tage
gehabt zu haben. Ich meine, seit ich mit Mick zusammen bin. Ich würde mich doch dran
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