Die Wahrheit über Alice
versuchen
wird, mich zu erreichen, und zwar so lange, bis sie Erfolg hat, und ich will es einfach hinter mich bringen.
Als Mick irgendwann nachmittags Bier holen geht, nehme ich mein Handy und schalte es ein.
Da ich die ganze Woche lang nicht einmal nachgesehen habe, wer angerufen hat, sind inzwischen vierzehn Nachrichten auf der
Mailbox, und ich habe zahlreiche SMS bekommen. Ich bin sicher, dass die meisten von Alice sind und dass sie wahrscheinlich
wütend oder empört ist, weil ich mich nicht bei ihr gemeldet habe. Aber mich interessiert nicht, was sie zu sagen hat. Ich
will sie bloß ein letztes Mal anrufen, um sie wissen zu |225| lassen, wie angewidert ich bin. Ich tippe rasch ihre Nummer ein, ehe mich der Mut verlässt.
Sie geht fast augenblicklich ran. «Ah, die geheimnisvolle Fremde. Endlich. Ehrlich gesagt, ich hätte dich nie für eine von
diesen Frauen gehalten, die eine Freundin in den Wind schießen, sobald sie einen Typen an Land gezogen haben. Aber stille
Wasser sind ja bekanntlich tief.» Sie lacht. «Immer für eine Überraschung gut, was?»
Ich verdrehe die Augen. Nur Alice kann so unverschämt sein, die Situation derart zu verdrehen. Dabei hat sie den ganzen Schaden
angerichtet.
«Tut mir leid, Alice. Aber ich bin einigermaßen verärgert. Über dich. Deshalb hab ich mich nicht gemeldet.»
«Verärgert?» Sie klingt gereizt und spöttisch. «Herr im Himmel. Doch wohl nicht wegen Robbie und seinem Dad, oder?»
«Ich habe an dem Abend mit Greg gesprochen», sage ich. «Nachdem du gegangen warst.»
«Klar. Hab ich mir gedacht.»
«Hab ich wirklich getan.»
«Ja, hast du. Ist ja gut. Super. Das hätten wir ja dann geklärt. Auch egal. Weshalb rufst du denn jetzt an?»
Ich weiß nicht, ob sie sich absichtlich begriffsstutzig stellt, aber ich komme mir plötzlich etwas lächerlich vor und fühle
mich in meiner Selbstgerechtigkeit verunsichert. «Was du gemacht hast, war unglaublich grausam, Alice.»
«Mann, Katherine, ich hatte keine Ahnung, dass ihr zwei da sein würdet, ja? Keinen Schimmer. Das war doch Gregs geniale Idee»,
sagt sie. Ihre Stimme klingt ungeduldig und schroff, so als ob sie das Thema bereits anödet und sie keine Lust hat, sich erklären
zu müssen. «Woher hätte ich wissen sollen, was Greg sich da ausgedacht hat?»
|226| «Ich rede nicht von der Sache im Restaurant, Alice. Du kannst doch nicht ernsthaft glauben, das wäre eine Rechtfertigung.
Die ganze Beziehung zu Greg war grausam. Nicht bloß dieser Abend, nicht bloß die Tatsache, dass du erwischt worden bist. Ich
komme nicht darüber hinweg, dass du das tun konntest. Ich komme wirklich nicht darüber hinweg, dass du dich so beschissen
verhalten kannst – dabei war Robbie immer nur gut zu dir.»
Sie schweigt einen Moment. Sie seufzt. «Okay. In Ordnung. Ich verstehe deinen Standpunkt. Ende der Strafpredigt?»
«Nein, eigentlich nicht, aber es bringt offenbar nichts, noch mehr dazu zu sagen, oder? Es interessiert dich nämlich nicht
die Bohne. Aber die Sache ist echt furchtbar, Alice. Völlig inakzeptabel.»
Alice lacht. Ein gehässiges, kaltes, humorloses Lachen. «Ich kapier das nicht», sagt sie schließlich. «Ich verstehe nicht,
was dich das eigentlich angeht. Wieso regst du dich dermaßen über meine Beziehung zu Greg oder über meine Beziehung zu Robbie
auf?»
Und für einen kurzen Moment gehe ich ihr tatsächlich auf den Leim und denke verwirrt, dass ich überreagiert habe und mich
um meinen eigenen Kram kümmern sollte. Aber nein, sage ich mir, es ist richtig, ein solches Verhalten bei Freunden nicht hinzunehmen.
«Weil das, was du getan hast, vorsätzlich grausam war, Alice. Destruktiv und widerwärtig. Robbie ist am Boden zerstört. Er
ist nach Europa geflohen. Wusstest du das? Nur deinetwegen. Und du hast sein Verhältnis zu seinem Vater zerstört», sage ich.
«Robbie ist einer meiner besten Freunde. Es wundert mich, dass du findest, ich sollte mich nicht aufregen.»
«Ach, Schwachsinn. Ich hab ihr Verhältnis nicht zerstört. Die kriegen sich schon wieder ein. Keiner von den beiden wusste |227| Bescheid, also haben sie sich doch eigentlich nichts vorzuwerfen. Die Sache bringt sie einander wahrscheinlich sogar näher,
auf lange Sicht. Und die Zeit in Europa wird Robbie guttun. Er muss wirklich mal ein paar Dinge für sich auf die Reihe kriegen.
Der Junge steckt voller Wut. Und er ist lächerlich besitzergreifend. Und überhaupt, die beiden sollten froh sein,
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