Die Wahrheit über Alice
Doch als ich
seufze und aufblicke, scheint sie meine Gedanken schon erraten zu haben.
«Hör mal», sagt sie. «Am besten gehst du allein zurück zu Micks Wohnung und kaufst dir unterwegs einen Test. Ich halte |239| Mick hier auf und frühstücke mit ihm zu Ende. Du machst den Test, und wenn er nach Hause kommt, kannst du mit ihm drüber reden.
Falls nötig.» Sie lächelt. «Ich komme nicht mit. Ich denke, ihr braucht mich dabei nicht.»
«Okay.» Ich lächle dankbar. «Das wäre gut. Danke.»
«Aber du gibst mir Bescheid, ja?», sagt sie. «Bald? Morgen?»
Wir kehren zum Tisch zurück und sagen Mick, dass mir schlecht ist und ich nach Hause möchte. Er springt sofort auf und will
mich begleiten. Aber Philippa und ich überreden ihn, zu bleiben und zu Ende zu frühstücken.
«Es sind nur drei Minuten zu Fuß», sage ich lachend. «Kei ne Bange. Das schaff ich auch allein.»
Er sieht besorgt aus, als ich ihm von draußen durch die Tür noch einmal zuwinke. Ich lächle so beruhigend ich kann und gehe
los. Es tut gut, an der frischen Luft zu sein, raus aus der stickigen, engen Atmosphäre des Cafés zu kommen, wo es viel zu
stark nach Kaffee und gebratenem Speck gerochen hat. Normalerweise machen solche Gerüche mich hungrig, aber heute sind sie
einfach nur überstark und erregen Übelkeit.
Ich habe wenig Zweifel daran, dass ich schwanger bin. Es passt alles zu gut zusammen – die Übelkeit, die seltsame Müdigkeit
in letzter Zeit, die geschwollenen Brüste. Und ich bin mir jetzt sicher, dass ich meine Tage nicht mehr hatte, seit ich das
erste Mal mit Mick geschlafen habe. Und obwohl wir ziemlich vorsichtig waren und die meiste Zeit Kondome benutzt haben, sind
wir ein- oder zweimal nachlässig gewesen und haben uns gedacht, es wird schon nichts passieren, wenn Mick aufpasst. Offenbar
haben wir uns getäuscht.
Ich gehe in die Drogerie und suche nach dem Regal mit den Tests. Ich habe bisher noch nie einen kaufen müssen, und ich bin
nicht ganz sicher, wo sie aufbewahrt werden oder worauf ich |240| achten muss, daher schlendere ich eine Weile blindlings umher, bis eine junge Frau auf mich zukommt und fragt, ob sie mir
behilflich sein kann.
«Ja. Äh, Schwangerschaftstests?»
Ein Teil von mir rechnet damit, dass sie schockiert ist und mir gleich einen Vortrag über Safer Sex und Verhütung hält, aber
sie stutzt weder, noch zeigt sie sonst irgendeine Reaktion auf meine Frage. «Natürlich», sagt sie. «Die haben wir hier drüben.»
Und dann erklärt sie mir höflich und neutral die Unterschiede zwischen den einzelnen Marken und begleitet mich zur Kasse,
wo sie die Packung in eine Papiertüte packt. Aber trotzdem frage ich mich, was sie wohl denkt. Wir sind etwa im gleichen Alter,
und ich stelle mir vor, dass sie froh ist, nicht an meiner Stelle zu sein, froh, nicht dieses Problem zu haben, selbstgefällig
und überlegen und sicher wie sie da steht in ihrem zweckmäßigen weißen Kittel.
Ich will gerade wieder nach draußen gehen, als mir jemand auf die Schulter tippt.
«Tz-tz-tz, Katherine», ertönt laut eine Stimme hinter mir, und ich spüre, wie mir die Farbe aus dem Gesicht weicht, als ich
sehe, wer es ist. Alice. «Na, was würde Helen jetzt wohl denken?», sagt sie.
Ich presse mir die Tüte mit der Packung schützend vor den Bauch. Ich bin seltsam eingeschüchtert, sogar ängstlich, und ich
muss den Impuls unterdrücken, Reißaus zu nehmen. In Alice’ Miene liegt kein Funken Wärme, und als ich ihr so gegenüberstehe,
ist es mir schier unvorstellbar, dass wir mal Freundinnen waren.
Alice beäugt die Tüte und deutet mit dem Kinn darauf. «Warst wohl ein unartiges Mädchen, was?»
Ich will gerade etwas sagen, um zu leugnen, zu erklären, mich zu rechtfertigen, entscheide mich dann aber dagegen. Ich bin |241| Alice keine Rechenschaft schuldig. Mein Privatleben geht sie nichts mehr an. Ich zucke die Achseln und will an ihr vorbei,
doch ehe ich einen Schritt machen kann, legt sie eine Hand auf meine Schulter und beugt sich zu mir. Ihr Gesicht ist jetzt
unangenehm dicht vor meinem.
«Bilde dir bloß nicht ein, du kämst damit durch», sagt sie. Ihre Stimme ist jetzt ein bösartiges, tiefes Knurren. «Ich weiß,
dass Leute wie du Leute wie mich für überflüssig halten. Das weiß ich. Aber so schnell wirst du mich nicht los.»
«Dich loswerden?» Ich versuche zu lachen, doch es klingt hohl und wenig überzeugend. «Soll das eine Drohung sein? Verfolgst
du
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