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Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert

Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert

Titel: Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Dicker
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eine Autopanne oder vielleicht sogar einen Unfall gehabt. Egal was, Hauptsache er versetzte sie nicht! Unter dem Vorwand, in der Küche nach dem Rechten sehen zu müssen, hatte sie mehrmals bei ihm in Goose Cove angerufen, doch vergeblich. Also hatte sie sich die Nachrichten im Radio angehört, aber es wurde kein Unfall gemeldet, und an diesem Tag war in New Hampshire auch kein berühmter Schriftsteller gestorben. Zweimal vernahm sie Motorengeräusche vor dem Haus, und jedes Mal machte ihr Herz einen Hüpfer: Das war er! Aber nein: Es waren nur irgendwelche dämlichen Nachbarn.
    Die Gäste konnten nicht mehr: Erschlagen von der Hitze, hatten sie sich schließlich in den Schatten des Zeltdachs geflüchtet. Dort saßen sie nun schweigend auf ihren Plätzen und langweilten sich tödlich. »Ich hoffe, es handelt sich um eine wirklich große Neuigkeit«, meinte Donna nach einer Weile. »Wenn ich noch einen von diesen Cocktails trinke, muss ich mich übergeben«, verkündete Amy. Schließlich bat Tamara den Kellner, die Platten aufzutragen, und schlug ihren Gästen vor, mit dem Essen zu beginnen.
    Um vierzehn Uhr war das Essen bereits weit fortgeschritten – und noch immer keine Nachricht von Harry. Jennys Kehle war wie zugeschnürt, sie bekam keinen Bissen herunter. Sie riss sich zusammen, um vor den anderen nicht loszuschluchzen. Tamara bebte innerlich vor Wut: zwei Stunden Verspätung, er kam bestimmt nicht mehr. Wie zum Teufel konnte er ihr das antun? Welcher Mann von Welt benahm sich so? Und als wäre das nicht genug, piesackte Donna sie nun ständig mit der Frage, was denn diese so wichtige Neuigkeit war, die sie ihnen mitzuteilen hatte. Tamara hüllte sich in Schweigen. Um die Situation und die Ehre seiner Frau zu retten, stand der unselige Bobbo feierlich auf, hob das Glas und verkündete seinen Gästen stolz: »Meine lieben Freunde, wir wollten euch mitteilen, dass wir einen neuen Fernseher haben.«
    Verständnisloses Schweigen machte sich breit. Tamara, die es nicht ertrug, derart bloßgestellt zu werden, stand ihrerseits auf und verkündete: »Robert hat Krebs, er muss bald sterben.« Alle waren tief betroffen, auch Bobbo selbst, der nicht gewusst hatte, dass er bald sterben musste, und der sich fragte, wann der Arzt bei ihnen angerufen und warum ihm seine Frau nichts gesagt hatte. Plötzlich fing er an zu weinen, denn er hing am Leben. Seine Familie, seine Tochter, seine kleine Stadt – das alles würde ihm fehlen. Die anderen umarmten ihn, versprachen, dass sie ihn bis zum letzten Atemzug im Krankenhaus besuchen und ihn niemals vergessen würden.
    Harry war deshalb nicht zu Tamara Quinns Gartenparty gekommen, weil er an Nolas Krankenbett saß. Sowie Pinkas ihm die Nachricht überbracht hatte, war er nach Montburry zum Krankenhaus gefahren. Stundenlang hatte er auf dem Parkplatz hinter dem Lenkrad seines Wagens gesessen, weil er nicht wusste, was er tun sollte. Er hatte Schuldgefühle: Schließlich hatte Nola seinetwegen sterben wollen. Bei dieser Vorstellung bekam er Lust, sich selbst das Leben zu nehmen. Er ließ seinen Emotionen freien Lauf, und zum ersten Mal wurde ihm die Tragweite seiner Gefühle für Nola bewusst. Er verfluchte die Liebe. Solange Nola ganz nah bei ihm war, konnte er sich einreden, dass es zwischen ihnen keine tiefen Gefühle gab und er sie aus seinem Leben verbannen musste, aber jetzt, wo er sie fast verloren hätte, konnte er sich nicht mehr vorstellen, ohne sie zu leben. Nola, allerliebste Nola. N-O-L-A .
    Es war siebzehn Uhr, als er es schließlich wagte, das Krankenhaus zu betreten. Er hoffte, niemandem zu begegnen, aber in der Eingangshalle stieß er auf David Kellergan, dessen Augen vom Weinen gerötet waren. »Reverend … Ich habe das von Nola gehört. Es tut mir aufrichtig leid.«
    »Danke, dass Sie gekommen sind, um mir Ihr Mitgefühl auszudrücken, Harry. Sie werden bestimmt hören, dass Nola versucht hat, sich das Leben zu nehmen, aber das ist eine bösartige Verleumdung. Sie hatte Kopfschmerzen und hat aus Versehen die falschen Tabletten genommen. Sie ist öfter mal mit den Gedanken woanders, wie alle Kinder.«
    »Selbstverständlich, Reverend«, entgegnete Harry. »Diese verfluchten Pillen. In welchem Zimmer liegt sie? Ich würde sie gern besuchen.«
    »Das ist sehr nett von Ihnen, aber es ist besser, wenn sie vorerst keinen Besuch bekommt. Sie darf sich nicht zu sehr anstrengen, verstehen Sie?«
    Immerhin hatte Reverend Kellergan ein Büchlein dabei, in das Besucher

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