Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert
versuchte sie sich einzuprägen. Alles war perfekt. Fehlten nur noch die Gäste.
Tamara hatte vier ihrer Freundinnen samt Ehemännern eingeladen. Vorher hatte sie lange über die Gästezahl nachgegrübelt: Zu wenig Gäste konnten den Eindruck erwecken, die Gartenparty sei missglückt, zu viele konnten ihrem exquisiten ländlichen Mittagessen leicht den Anstrich eines Volksfestes verleihen. Am Ende hatte sie sich dafür entschieden, diejenigen herauszupicken, die Auroras Gerüchteküche ordentlich einheizen würden, damit es schon bald hieß, dass Tamara Quinn schicke Einladungen mit handverlesenen Gästen gab, weil ihr Schwiegersohn in spe der Star des amerikanischen Literaturbetriebs war. Sie hatte Amy Pratt eingeladen, weil sie die Organisatorin des Sommerballs war; des Weiteren Belle Carlton, die sich für die Hüterin des guten Geschmacks hielt, weil ihr Mann jedes Jahr ein neues Auto fuhr; Cindy Tirsten, die zahlreichen Damenclubs vorsaß; und Donna Mitchell, eine wahre Landplage, die zu viel redete und sich andauernd mit den Erfolgen ihrer Kinder brüstete. Tamara würde dafür sorgen, dass ihnen Augen und Ohren übergingen. Übrigens hatten sie nach Erhalt der Einladung alle bei ihr angerufen, um sich nach dem Anlass für diese Festivität zu erkundigen. Aber Tamara hatte es klugerweise verstanden, die Spannung aufrechtzuerhalten, indem sie ausweichend geantwortet hatte: »Ich habe euch eine große Neuigkeit mitzuteilen.« Sie konnte es kaum erwarten, die Gesichter ihrer Freundinnen zu sehen, wenn sie Jenny und den großen Quebert zukünftig fürs Leben vereint, erblickten. Schon bald würden die Quinns das Stadtgespräch sein, und von allen beneidet werden.
Tamara war so sehr mit ihrer Einladung beschäftigt, dass sie zu den wenigen Einwohnern Auroras zählte, die sich nicht vor dem Haus der Kellergans drängten. Wie alle anderen hatte sie die Nachricht am Morgen erhalten und augenblicklich um ihre Gartenparty gefürchtet. Nola hatte versucht, sich das Leben zu nehmen. Doch gottlob war der Selbstmordversuch der Kleinen kläglich gescheitert, und darüber war Tamara doppelt froh: zum einen, weil sie das Fest hätte absagen müssen, wenn Nola tot gewesen wäre, weil es sich unter diesen Umständen nicht geziemt hätte, zu feiern. Und zum anderen war es ein Segen, dass heute Sonntag und nicht etwa Samstag war, denn hätte Nola sich an einem Samstag umzubringen versucht, hätte jemand für sie im Clark’s einspringen müssen, und das wäre sehr schwierig gewesen. Es war wirklich anständig von Nola, dass sie es an einem Sonntag gemacht und obendrein vermasselt hatte!
Zufrieden mit den Arrangements im Außenbereich, ging Tamara nachsehen, was sich im Innern des Hauses tat. Sie traf Jenny auf ihrem Posten in der Diele an, wo sie die Gäste empfangen sollte. Kräftig schimpfen musste sie allerdings mit dem armen Bobbo, der zwar Hemd und Krawatte trug, aber seine Hose noch nicht angezogen hatte, weil er sonntags immer in Boxershorts auf der Veranda seine Zeitung lesen durfte, und er liebte es, wenn die Brise in seine Shorts fuhr und ihn kühlte, insbesondere die behaarten Partien, denn das war sehr angenehm.
»Schluss mit dieser Marotte, halb nackt herumzulaufen!«, herrschte seine Frau ihn an. »Was soll das? Wenn der große Harry Quebert erst mal unser Schwiegersohn ist, wirst du dann auch in Boxershorts herumspazieren?«
»Weißt du«, erwiderte Bobbo, »ich glaube, er ist gar nicht so, wie alle denken. Im Grunde ist er ganz einfach gestrickt. Er liebt Autos und ein schön kaltes Bier. Er würde sich bestimmt nicht daran stoßen, mich in meiner Sonntagskluft zu sehen. Außerdem würde ich ihn vorher fragen …«
»Gar nichts fragst du ihn! Dass du mir beim Essen bloß keinen Unfug erzählst! Ich will ganz einfach kein Wort von dir hören. Ach, mein armer Bobbo, wenn es erlaubt wäre, würde ich dir die Lippen zunähen, denn jedes Mal, wenn du den Mund aufmachst, kommt irgendein Blödsinn heraus. Sonntags heißt es ab sofort Hemd und Hose, basta! Lass dich in diesem Haus ja nicht mehr in Unterwäsche blicken! Wir sind jetzt sehr wichtige Leute.« Beim Reden bemerkte sie, dass ihr Mann auf dem niedrigen Wohnzimmertisch ein paar Zeilen auf eine Karte gekritzelt hatte.
»Was ist das?«, kläffte sie.
»Irgendwas.«
»Zeig her!«
»Nein«, versetzte Bobbo trotzig und schnappte sich die Karte.
»Bobbo, ich will das sehen!«
»Das ist ein persönlicher Brief.«
»Ah, der Herr schreibt jetzt persönliche
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