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Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert

Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert

Titel: Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Dicker
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damit aufhört, nach Aurora zu fahren, verstehen Sie? Ich wollte, dass diese Besessenheit in Bezug auf Nola ein Ende hat! Aber davon wollte er partout nichts wissen! Er hat gesagt, dass das mit ihm und Nola so stark sei wie noch nie! Dass niemand sie daran hindern könne, zusammen zu sein! Da bin ich durchgedreht. Wir sind aufeinander losgegangen, und ich habe ihn geschlagen. Ich habe ihn am Kragen gepackt, ihn angeschrien und geschlagen. Ich habe ihn einen Hinterwäldler genannt. Er hat auf dem Boden gelegen und sich an die blutende Nase gefasst. Ich war wie versteinert. Und dann hat er zu mir gesagt … Er hat gesagt …«
    Stern brachte kein Wort mehr heraus. Er machte eine angewiderte Geste.
    »Mr Stern, was hat er zu Ihnen gesagt?«, hakte ich nach, damit er den Faden nicht verlor.
    »Er hat gesagt: ›Du warst es!‹ Er hat geschrien: ›Du warst es! Du warst es!‹ Ich stand wie gelähmt da. Er ist losgerannt, hat ein paar Sachen aus seinem Zimmer geholt und ist mit dem Chevrolet davongefahren, bevor ich reagieren konnte. Er hatte … Er hatte meine Stimme wiedererkannt.« Jetzt weinte Stern und ballte die Fäuste.
    »Er hatte Ihre Stimme wiedererkannt?«, wiederholte ich. »Was meinen Sie damit?«
    »Es … Es gab mal eine Zeit, in der ich mich mit alten Kumpels aus Harvard getroffen habe. Aus so einer schwachsinnigen Studentenverbindung Wir sind übers Wochenende nach Maine gefahren und zwei Tage in teuren Hotels abgestiegen, um zu saufen und Hummer zu essen. Wir hatten Spaß daran, uns zu prügeln und irgendwelchen armen Kerlen eine Abreibung zu verpassen. Wir haben uns eingeredet, dass in Maine nur Hinterwäldler leben und es unsere Mission ist, sie zu vermöbeln. Wir waren noch nicht mal dreißig, eingebildete Schnösel aus reichem Elternhaus. Wir waren ein bisschen rassistisch, wir waren unglücklich, und wir waren gewalttätig. Wir hatten uns ein Spiel ausgedacht: Field Goal. Es bestand darin, mit dem Fuß gegen den Kopf unserer Opfer zu treten, als würde man einen Ball wegschießen. Eines Tages im Jahr 1964 waren wir in der Nähe von Portland unterwegs. Wir waren sehr aufgedreht und ziemlich betrunken. Auf der Straße sind wir einem jungen Kerl begegnet. Ich habe den Wagen gefahren … Ich habe angehalten und vorgeschlagen, dass wir uns ein bisschen amüsieren …«
    » Sie haben Caleb überfallen?«
    »Ja! Ja!«, brach es aus ihm hervor. »Ich habe es mir nie verziehen! Als wir am nächsten Morgen in unserer Luxussuite im Hotel aufgewacht sind, hatten wir einen Mordskater. Alle Zeitungen haben über den Überfall berichtet. Der Junge lag im Koma. Die Polizei fahndete regelrecht nach uns, man nannte uns die Field-Goals-Bande. Wir haben beschlossen, eisern zu schweigen und den Vorfall tief in unserem Gedächtnis zu vergraben. Aber mir hat es keine Ruhe gelassen: In den Tagen und Monaten danach konnte ich an nichts anderes denken. Es hat mich richtig krank gemacht. Irgendwann habe ich damit angefangen, ab und zu nach Portland zu fahren, um zu sehen, wie es dem Jungen ging, den wir so malträtiert hatten. So verstrichen zwei Jahre, aber irgendwann konnte ich nicht mehr. Da habe ich beschlossen, ihm Arbeit und eine Chance zu geben, aus seinem Elend herauszukommen. Ich habe eine Reifenpanne vorgetäuscht, ihn um Hilfe gebeten und als Fahrer eingestellt. Ich habe ihm alles gegeben, was er wollte … Ich habe ihm im Wintergarten meines Hauses ein Atelier eingerichtet, ihm Geld gegeben, ein Auto geschenkt, aber das alles hat nicht gereicht, um meine Schuldgefühle zu besänftigen. Ich wollte noch mehr für ihn tun! Ich hatte seine Karriere als Maler zerstört, und deshalb habe ich allerlei Ausstellungen finanziert und ihn oft tagelang malen lassen. Irgendwann hat er gesagt, dass er sich einsam fühlt, weil keine ihn will. Er hat gesagt, das Einzige, was er mit einer Frau tun kann, ist, sie zu malen. Er wollte blonde Frauen malen, weil ihn das an seine ehemalige Verlobte aus der Zeit vor dem Überfall erinnerte. Also habe ich haufenweise blonde Prostituierte herankarren lassen, damit sie für ihn posierten. Aber eines Tages ist er in Aurora Nola begegnet und hat sich in sie verliebt. Er hat gesagt, dass er zum ersten Mal seit seiner Verlobten wieder jemanden liebt. Und dann ist Harry aufgekreuzt, der geniale, gut aussehende Schriftsteller. Er war so, wie Luther gern gewesen wäre. Und Nola hat sich in Harry verliebt. Darum hat Luther beschlossen, dass auch er Harry sein möchte … Was hätte ich denn tun

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