Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert
verstehen, Papa! Was machst du hier? Hau ab! Hau schon ab!«
Er riss ihr den Kanister aus der Hand. »Lauf!«, befahl er. »Lauf, bevor sie dich schnappen!«
Sie verschwand im Wald und lief zu ihrem Wagen. Er musste den Kanister loswerden, aber vor lauter Panik konnte er nicht klar denken. Schließlich rannte er zum Strand hinunter und versteckte ihn im Gebüsch.
Auszug aus dem Verhör von Jenny E. Dawn
Sergeant P. Gahalowood: »Und was war danach?«
Jenny Dawn: »Ich habe meinen Vater angefleht, sich aus allem herauszuhalten. Ich wollte nicht, dass er in die Sache verwickelt wurde.«
Sergeant P. Gahalowood: »Das war er bereits. Was haben Sie dann getan?«
Jenny Dawn: »Nachdem Chief Pratt gestanden hatte, dass er Nola zum Oralsex gezwungen hatte, wuchs der Druck auf ihn. Er, der anfangs so optimistisch gewesen war, stand kurz davor, die Nerven zu verlieren und auszupacken. Wir mussten ihn loswerden und die Waffe an uns bringen.«
Sergeant P. Gahalowood: »Er hatte die Waffe behalten?«
Jenny Dawn: »Ja. Es war seine Dienstwaffe. Schon immer …«
Auszug aus dem Verhör von Travis S. Dawn
Travis Dawn: »Ich werde mir nie verzeihen, was ich getan habe, Sergeant. Seit dreiunddreißig Jahren denke ich immerzu daran. Seit dreiunddreißig Jahren lässt es mir keine Ruhe.«
Sergeant P. Gahalowood: »Eines begreife ich nicht: Sie sind Polizist und haben die Kette behalten, obwohl sie einen erdrückenden Beweis darstellt?«
Travis Dawn: »Ich konnte sie nicht verschwinden lassen. Diese Kette ist meine Strafe. Eine Mahnung an die Vergangenheit. Seit dem 30. August 1975 vergeht kein Tag, an dem ich mich nicht irgendwohin zurückziehe, um die Kette anzusehen. Außerdem: Wie hoch war das Risiko denn schon, dass jemand sie fand?«
Sergeant P. Gahalowood: »Was war mit Pratt?«
Travis Dawn: »Er wollte auspacken. Seit Sie das mit ihm und Nola herausgefunden hatten, hatte er schreckliche Angst. Eines Tages hat er mich angerufen: Er wollte mich sehen. Wir haben uns an einem Strand getroffen. Er hat gesagt, dass er gestehen will, dass er einen Deal mit dem Staatsanwalt eingehen will und ich das auch tun soll, weil die Wahrheit sowieso irgendwann ans Licht kommt. Noch am selben Abend bin ich zu ihm in sein Motel gefahren, um noch mal zu versuchen, ihn zur Vernunft zu bringen, aber er hat sich quergestellt. Dann hat er mir seinen alten Colt Kaliber .38 gezeigt, den er in der Nachttischschublade aufbewahrte, und gesagt, dass er Ihnen den Colt am nächsten Tag bringen würde. Er wollte reden, Sergeant! Also habe ich gewartet, bis er mir den Rücken zugedreht hat, und ihn mit dem Gummiknüppel erschlagen. Dann habe ich den Colt genommen und bin abgehauen.«
Sergeant P. Gahalowood: »Mit dem Gummiknüppel? Wie Nola?«
Travis Dawn: »Ja.«
Sergeant P. Gahalowood: »Mit derselben Waffe also?«
Travis Dawn: »Ja.«
Sergeant P. Gahalowood: »Wo ist sie?«
Travis Dawn: »Es ist mein Dienstknüppel. Das hatte Pratt mir damals geraten. Er hatte gesagt, die beste Art, eine Tatwaffe zu verstecken, besteht darin, sie für alle sichtbar mit sich herumzutragen. Der Colt und der Schlagstock, die wir bei der Suche nach Nola am Gürtel trugen, waren die Tatwaffen.«
Sergeant P. Gahalowood: »Warum wollten Sie den Revolver dann doch loswerden? Und wie kam Robert Quinn in den Besitz des Colts und der Kette?«
Travis Dawn: »Jenny hat mich unter Druck gesetzt, und ich habe nachgegeben. Seit Pratts Tod konnte sie nicht mehr schlafen. Sie war fix und fertig. Sie hat gesagt, wir dürfen sie nicht bei uns aufbewahren, denn wenn man bei den Ermittlungen im Mordfall Pratt auf uns käme, wären wir erledigt. Am Ende hat sie mich überzeugt. Ich wollte den Colt und die Kette ins Meer werfen, weit draußen, wo sie nie jemand finden würde, aber Jenny ist durchgedreht und ist mir zuvorgekommen. Ohne mich zu fragen, hat sie ihren Vater gebeten, sich darum zu kümmern.«
Sergeant P. Gahalowood: »Warum ihren Vater?«
Travis Dawn: »Weil sie es mir wohl nicht zutraute. Ich hatte es dreiunddreißig Jahre lang nicht geschafft, mich von der Kette zu trennen, und sie fürchtete, dass ich es nie fertigbringen würde. Und sie hatte schon immer unerschütterliches Vertrauen zu ihrem Vater gehabt und glaubte, dass er der Einzige war, der uns helfen konnte. Außerdem wirkte er so harmlos … Der rührende Robert Quinn!«
9. November 2008
Jenny kam in ihr Elternhaus gestürmt. Sie wusste, dass ihr Vater allein war. Er saß im Wohnzimmer.
»Papa!«,
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