Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert
rief sie. »Papa, ich brauche deine Hilfe!«
»Jenny? Was ist denn los?«
»Stell keine Fragen. Du musst das hier für mich verschwinden lassen.« Sie hielt ihm eine Plastiktüte hin.
»Was ist das?«
»Frag nicht. Und schau nicht rein. Es ist eine ganz schlimme Sache. Nur du kannst mir helfen. Du musst das irgendwo wegwerfen, wo garantiert nie jemand danach suchen wird.«
»Hast du Probleme?«
»Ja, ich glaube schon.«
»Dann tue ich es, mein Schatz. Sei beruhigt. Ich werde alles tun, um dich zu beschützen.«
»Mach die Tüte bloß nicht auf, Papa. Lass sie einfach nur für immer verschwinden.«
Doch kaum war seine Tochter gegangen, öffnete Robert die Plastiktüte. Vor Entsetzen über seine Entdeckung und aus Angst, seine Tochter könnte eine Mörderin sein, beschloss er, den Inhalt nach Einbruch der Dunkelheit in den See von Montburry zu werfen.
Auszug aus dem Verhör von Travis S. Dawn
Travis Dawn: »Als ich hörte, dass Jennys Vater verhaftet worden war, war mir klar, dass es eng wurde und ich etwas unternehmen musste. Ich musste es so aussehen lassen, als wäre er der Täter, zumindest vorübergehend. Ich wusste, dass er seine Tochter schützen wollen und ein, zwei Tage durchhalten würde. Zeit genug für Jenny und mich, uns in ein Land abzusetzen, das uns nicht ausliefern würde. Also habe ich mich auf die Suche nach einem Beweisstück gegen Robert gemacht. Ich habe Jennys Fotoalben durchstöbert in der Hoffnung, ein Bild von Robert und Nola zu finden, auf dessen Rückseite ich etwas Kompromittierendes schreiben konnte. Dabei bin ich auf das Foto von ihm und dem schwarzen Monte Carlo gestoßen. Ein unglaublicher Zufall! Ich habe August 1975 hinten draufgeschrieben und es Ihnen gebracht.«
Sergeant P. Gahalowood: »Chief Dawn, es ist Zeit, uns zu sagen, was am 30. August 1975 wirklich passiert ist …«
»Schalten Sie aus, Marcus!«, rief Harry. »Ich flehe Sie an, schalten Sie aus! Ich ertrage es nicht, mir das anzuhören.«
Ich stellte den Fernseher aus. Harry weinte. Er stand von der Couch auf und stellte sich dicht vors Fenster. Draußen schneite es dicke Flocken. Die erleuchtete Stadt sah wunderschön aus.
»Es tut mir leid, Harry.«
»New York ist eine außergewöhnliche Stadt«, sagte er leise. »Ich frage mich oft, wie mein Leben wohl verlaufen wäre, wenn ich im Frühsommer 1975 hiergeblieben und nicht nach Aurora gezogen wäre.«
»Sie wären der Liebe nie begegnet«, sagte ich.
Er starrte in die Nacht hinaus. »Wann ist es Ihnen klar geworden, Marcus?«
»Klar geworden? Was? Dass Sie Der Ursprung des Übels nicht geschrieben haben? Kurz nach Travis Dawns Festnahme. Die Presse hat ja ausführlich darüber berichtet, und ein paar Tage später habe ich einen Anruf von Elijah Stern erhalten, der mich unbedingt sehen wollte.«
Freitag, 14. November 2008
Anwesen von Elijah Stern in der Nähe von Concord, NH
»Danke, dass Sie gekommen sind, Mr Goldman.« Elijah Stern empfing mich in seinem Büro.
»Ihr Anruf hat mich überrascht, Mr Stern. Ich dachte, Sie mögen mich nicht besonders.«
»Sie sind ein begabter junger Mann. Stimmt es, was die Zeitungen über Travis Dawn schreiben?«
»Ja, Sir.«
»Das ist ungeheuerlich …«
Ich nickte, dann sagte ich: »Was Caleb angeht, habe ich mich auf ganzer Linie getäuscht. Das bedaure ich.«
»Sie haben sich nichts vorzuwerfen. Wenn ich es recht verstanden habe, ist es auch Ihrer Hartnäckigkeit zu verdanken, dass die Polizei den Fall am Ende doch noch aufklären konnte. Einer der Polizisten hält große Stück auf Sie … Perry Gahalowood heißt er, glaube ich.«
»Ich habe meinen Verleger gebeten, Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert aus dem Handel zurückzurufen.«
»Das freut mich zu hören. Werden Sie das Buch überarbeiten?«
»Vermutlich. Ich weiß zwar noch nicht, wie, aber der Gerechtigkeit wird Genüge getan werden. Ich habe mich für Quebert starkgemacht, jetzt werde ich dasselbe für Caleb tun.«
Auf sein Gesicht trat ein Lächeln. »Genau deshalb wollte ich Sie sprechen, Mr Goldman. Ich muss Ihnen die Wahrheit sagen. Dann werden Sie auch verstehen, warum ich es Ihnen nicht vorwerfe, dass Sie Luther ein paar Monate lang für den Täter gehalten haben. Ich habe selbst dreiunddreißig Jahre in der festen Überzeugung gelebt, dass Luther Nola Kellergan getötet hat.«
»Tatsächlich?«
»Ich war mir absolut sicher. Ab-so-lut.«
»Warum haben Sie das der Polizei gegenüber nie erwähnt?«
»Ich wollte Luther nicht
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