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Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert

Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert

Titel: Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Dicker
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Gepäck mitgenommen hat.«
    »Ich glaube, sie ist ausgerissen«, widersprach ich.
    »Na gut. Gehen wir einmal von dieser Hypothese aus«, räumte Gahalowood ein. »Sie steigt also aus ihrem Fenster und läuft weg. Aber wohin?«
    Es war Zeit, ihm zu verraten, was ich wusste. »Sie war mit Harry verabredet«, antwortete ich.
    »Das vermuten Sie.«
    »Ich weiß es. Er hat es mir gesagt. Ich habe es Ihnen bisher nicht erzählt, weil ich befürchtet habe, es könnte ihn kompromittieren, aber ich glaube, es ist Zeit, die Karten auf den Tisch zu legen. An dem Abend, an dem Nola verschwand, wollte sie sich mit Harry in einem Motel an der Route 1 treffen. Sie wollten zusammen durchbrennen.«
    »Durchbrennen? Aber warum? Wie? Wohin?«
    »Das weiß ich auch nicht. Aber ich gehe davon aus, dass ich es herausfinden werde. Jedenfalls hat Harry am fraglichen Abend in einem Zimmer dieses Motels auf Nola gewartet. Sie hatte ihm einen Brief geschrieben, in dem stand, dass sie sich dort mit ihm treffen wollte. Er hat die ganze Nacht lang auf sie gewartet, aber sie ist nicht gekommen.«
    »Welches Motel war das? Und wo ist dieser Brief?«
    »Das Sea Side Motel, ein paar Meilen nördlich von Side Creek. Ich war dort, das Motel gibt es immer noch. Und was den Brief angeht … Den habe ich verbrannt, um Harry zu schützen.«
    »Sie haben ihn verbrannt? Sind Sie vollkommen übergeschnappt, Schriftsteller? Was hat Sie denn geritten? Wollen Sie wegen Vernichtung von Beweismaterial belangt werden?«
    »Das war dumm von mir. Es tut mir leid, Sergeant.«
    Fluchend griff sich Gahalowood eine Umgebungskarte von Aurora und breitete sie auf dem Tisch aus. Er zeigte zuerst auf das Stadtzentrum und dann auf die Route 1, die an der Küste, an Goose Cove und schließlich am Wald von Side Creek entlangführte, und kombinierte laut: »Wenn ich ein junges Ding wäre, das weglaufen will, ohne gesehen zu werden, würde ich an den nächstgelegenen Strand gehen und dann am Meer entlang bis zur Route 1. Also entweder nach Goose Cove oder nach …«
    »… Side Creek«, ergänzte ich. »Vom Motel führt ein Waldweg ans Meer.«
    »Bingo!«, rief Gahalowood. »Die Vermutung, dass die Kleine von zu Hause abhauen wollte, ist also gar nicht so abwegig. Die Terrace Avenue befindet sich hier … und der nächste Strand ist … Grand Beach! Sie geht also zum Strand und dann am Meer entlang bis zum Wald. Aber was ist wohl in diesem verfluchten Wald passiert?«
    »Vielleicht ist es dort zu einer verhängnisvollen Begegnung gekommen, zum Beispiel mit einem Geistesgestörten, der versucht hat, sie zu missbrauchen, sich dann einen dicken Ast gegriffen und sie erschlagen hat.«
    »Vielleicht, Schriftsteller, aber Sie übersehen ein Detail, das eine Menge Fragen aufwirft: das Manuskript. Und auch diese handschriftliche Zeile: Adieu, allerliebste Nola . Es ist ein Hinweis darauf, dass, wer immer Nola getötet und vergraben hat, sie gekannt und etwas für sie empfunden hat. Und gesetzt den Fall, dass es sich bei diesem Jemand nicht um Harry handelt, wüsste ich zu gern, wie dann sein Manuskript in ihren Besitz gelangt ist.«
    »Nola hatte es bei sich zu Hause, so viel steht fest. Sie läuft von zu Hause weg, will aber kein Gepäck mitnehmen. Das würde nur Verdacht erregen, vor allem falls ihre Eltern sie auf frischer Tat ertappen sollten. Außerdem braucht sie nichts. Sie geht davon aus, dass Harry reich ist und sie sich alles kaufen werden, was sie für ihr neues Leben brauchen. Was nimmt sie also als Einziges mit? Etwas, das unersetzlich ist, nämlich das Manuskript des Buchs, das Harry gerade fertig geschrieben hat und das sie, wie so oft, mit nach Hause genommen hat, um es zu lesen. Sie weiß, dass dieses Manuskript Harry viel bedeutet. Also steckt sie es in ihre Tasche und läuft von zu Hause weg.«
    Gahalowood sann kurz über meine Theorie nach. »Ihrer Meinung nach«, spann er den Faden dann weiter, »hat der Mörder die Tasche mit dem Manuskript also zusammen mit ihr begraben, um sämtliche Beweise zu beseitigen.«
    »Genau.«
    »Aber das erklärt nicht die Widmung auf dem Manuskript.«
    »Ein guter Einwand«, räumte ich ein. »Vielleicht ist sie ein Beweis dafür, dass der Mörder Nola geliebt hat. Müssten wir nicht ein Verbrechen aus Leidenschaft in Betracht ziehen? Eine Affekthandlung, nach der der Mörder diese Worte schreibt, damit das Grab nicht anonym bleibt? War es jemand, der Nola geliebt und nicht ertragen hat, dass sie etwas mit Harry hatte? Der von ihrer

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