Die Wahrheit über Geld - Wie kommt unser Geld in die Welt und wie wird aus einem Kleinkredit ein großer Finanzcrash (German Edition)
DEN ZINS VERMEHRT ES SICH DAGEGEN DURCH SICH SELBST. […] DIESE ART DES GELDERWERBS IST ALSO AM MEISTEN GEGEN DIE NATUR.“
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Aristoteles, Politik, 1. Buch, Kap. 3, 1259 a
Es ist schon erstaunlich: Dem großen Denker Aristoteles missfiel etwas, das wir heutzutage als die normalste Sache der Welt betrachten, nämlich Zinsen für unser Geld zu kassieren. Der Philosoph hielt den Zins sogar für widernatürlich. Andere stimmten ihm dabei durchaus zu, wie die Gründer wichtiger Weltreligionen, die ebenfalls Vorbehalte gegen den Zins hatten.
Dagegen hat der Zins in unserer modernen Industriegesellschaft einen ausgesprochen guten Ruf. Die meisten von uns empfinden es nicht nur als vollkommen normal, für ihr Erspartes bei der Bank Geld zu bekommen, sondern sie wollen auch einen möglichst hohen Zins dafür. Und beim Zinseszins gerät manch einer sogar ins Schwärmen: Vor allem Finanzberater preisen gerne seine phänomenale Wirkung mit beeindruckenden Schaubildern, die zeigen, wie sich das angesparte Kapital in 30 oder 40 Jahren vervielfacht.
Der Clou beim Zinseszins ist, dass der Zinsertrag am Ende eines jeden Jahres nicht vom Konto abgehoben und ausgegeben, sondern angelegt und fortan mitverzinst wird. Bei einem angenommenen jährlichen Zins von fünf Prozent zum Beispiel verdoppelt sich das Kapital alle 14 Jahre. Dahinter steckt keine Hexerei, sondern simple Arithmetik. Man braucht nur die Zahl 72 durch den Zinssatz zu teilen und heraus kommt die Anzahl der Jahre, die es bis zur Kapitalverdopplung dauert. Je höher der Zins, desto schneller geht es, und je früher man anfängt, desto mehr Geld kommt am Ende dabei heraus.
Kein Wunder also, dass heutzutage viele im Zinseszins eine Art Wunderwaffe für die Altersvorsorge sehen. Seine Anhänger zitieren gerne Albert Einstein, der den Zinseszins als die „größte Erfindung des menschlichen Geistes“, ja sogar als „achtes Weltwunder“ bezeichnet haben soll. Und obwohl sich derartige Schwärmereien des Physikgenies nicht belegen lassen, dienen sie diesen Leuten oft als Rückendeckung für die Argumentation, die da lautet: Man muss nur rechtzeitig mit dem Sparen beginnen und die Formel für sich arbeiten lassen, um dem eigenen Ruhestand in aller Ruhe entgegensehen zu können.
Rein rechnerisch ist da sogar etwas dran. Aber ist Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, schon einmal aufgefallen, dass die meisten Zinseszins-Tabellen nach 30 oder 40 Jahren enden? Klar, werden Sie sagen, kein Mensch lebt schließlich ewig und irgendwann will man das Ersparte ja auch wieder ausgeben. Stimmt, Menschen leben nicht ewig, aber bei ihrem Geld ist das anders. Denn wenn ein Mensch stirbt, wird es vererbt. Und auch das Geld, das er vor dem Sterben ausgibt, verschwindet nur dann von der Bildfläche, wenn andere Leute damit Bankkredite tilgen. 1 Soweit das Geld nur weitergegeben und letztlich irgendwann woanders angelegt wird, existiert es in anderen Händen weiter – und kann sich dort durch den Zinseszins vermehren. Gleiches gilt für Vermögen, das juristischen Personen gehört, etwa Unternehmen oder Stiftungen, zumal diese bekanntlich keines natürlichen Todes sterben.
Das achte Weltwunder 2 hat also noch eine zweite Seite, die man nicht vernachlässigen sollte. Sie wird am sogenannten Josefspfennig deutlich, den man heute eigentlich Josefscent nennen müsste: Ein einziger Cent, den Josef zur Geburt Jesu zu fünf Prozent angelegt haben könnte, wäre heute, über 2000 Jahre später, allein durch den Zinseszins auf einen Wert angewachsen, der mehr als 200 Milliarden Erdkugeln aus purem Gold entspricht! Das klingt unfassbar und wir konnten es zunächst auch kaum glauben. Wir haben aber selbst nachgerechnet und liefern in Anhang 5 den Beweis.
Zugegeben, wenn man niedrigere Zinssätze zugrunde legt, ist es weniger. Beispielsweise kommen bei einem Zinssatz von vier Prozent „nur“ noch 855 Erdkugeln aus Gold heraus und bei drei Prozent gar nur 18,8 Billiarden Tonnen. Das entspricht weniger als einer Erdkugel, ist aber dennoch vergleichsweise viel, wenn man bedenkt, dass es auf der Erde insgesamt nur schätzungsweise 160.000 Tonnen Gold gibt. Die „größte Erfindung des menschlichen Geistes“ führt uns langfristig also in unrealistische Größenordnungen. Dies lässt sich nur vermeiden, wenn man einen extrem niedrigen Durchschnittszins zugrunde legt – etwa um die ein Prozent. Aber wer will sich schon auf Dauer mit einem so mickrigen Zins zufriedengeben? Schließlich stöhnen
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