Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Wahrheit und andere Lügen

Die Wahrheit und andere Lügen

Titel: Die Wahrheit und andere Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Arango
Vom Netzwerk:
Moreany mit dem Papier in der Hand. Honor Eisendraht stand auf, trat ans Fenster und blickte hinunter auf den Parkplatz.
    Â»Ihr Wagen steht nicht da.«
    Moreany ärgerte sich. Warum hatte er die Ungeduld seines Herzens verraten, statt selbst aus dem Fenster zu schauen? In diesem Moment kam Betty zur Tür herein. Sie trug ein grüngraues Kostüm, das ihre phänomenale Taille betonte. Sie sah ein wenig müde aus und blasser als sonst.
    Â»Entschuldige, Claus, ich bin mit dem Auto liegen geblieben. Ich musste einen Mietwagen nehmen.«
    Honor Eisendraht nahm zur Kenntnis, dass Bettys Entschuldigung nicht ihr galt. Die Frauen würdigten einander schon lange keines Blickes mehr. Moreany zog sich zurück in sein Büro, um nicht nass zu werden, denn sobald Bettys Warmluftfront auf Honors Tiefdruckgebiet stieß, begann es im Vorzimmer zu regnen.
    Betty schloss wie immer die Tür hinter sich und legte zwei Lektoratsgutachten auf Moreanys Schreibtisch. Sie zog die unvermeidliche Mentholzigarette aus der Schachtel, Moreany gab ihr Feuer.
    Â»Ich habe gestern mit Henry gesprochen. Sein Manuskript ist im August fertig. Hat er dich angerufen?«
    Â»Mich? Nein.«
    Â»Er hat angedeutet, dass er Schwierigkeiten mit dem Ende hat.«
    Betty inhalierte den Rauch. »Hat die nicht jeder? Ich meine, muss man die nicht haben, ist das nicht ganz normal?«
    Â»Er kann sich nicht entscheiden.«
    Â»Hat er das gesagt? Wie meint er das?«
    Honor brachte den Kaffee, die beiden warteten schweigend, bis sie wieder verschwand. Moreany bemerkte Körnchen von getrocknetem Sand an Bettys rechtem Absatz. Moreanys Blick verweilte ein wenig auf den kleinen Äderchen auf ihrem Knöchel.
    Â»Melde dich bei ihm, Betty. Vielleicht braucht er Hilfe.«
    Sie zuckte die Achseln.
    Â»Ich kann’s probieren, aber wer kann schon Beethoven bei der Neunten helfen, hm?«
    Moreany lachte. Werde auf der Stelle meine Frau!, wollte er ausrufen. Lass mich deine Füße küssen, deine Brüste berühren, lass mich dein goldenes Haar kämmen! Aber er sprach es nicht aus. Betty drückte die angerauchte Zigarette im Messingaschenbecher aus, den Moreany extra für sie auf seinen Schreibtisch gestellt hatte. Er selbst war Nichtraucher. Sie hatte es bislang nicht bemerkt.
    Â»Was ist mit dem Auto?«
    Â»Es sprang gar nicht an heute Morgen. Vielleicht habe ich das Licht angelassen.«
    Â»Hast du Zeit, mich nach Venedig zu begleiten?«
    Sie schien nicht sonderlich erfreut und blieb ernst.
    Â»Wann?«
    Das Telefon auf seinem Tisch begann zu summen. Das weiße Licht blinkte, Honor versuchte, ein Gespräch zu ihm durchzustellen. Moreany ignorierte es.
    Â»Was ist mit deinem Auto?«
    Â»Das hast du mich eben schon gefragt. Es fährt einfach nicht mehr. Willst du nicht antworten?«
    Also Venedig.
    Moreany hob den Hörer. »Stellen Sie durch, Honor.« Moreany machte Betty ein Zeichen, dass Henry in der Leitung war, doch sie wusste es schon.
    Â»Henry, mein Bester, wie geht es dir?«
    Eine Weile lauschte Moreany. Betty sah, wie seine Miene sich verfinsterte. Sie hörte Henrys dunkle Stimme, er sprach langsam.
    Â»Ich komme sofort.«
    Moreany legte langsam auf, blickte dabei zu Boden, als suche er nach einer verlorenen Antwort.
    Â»Was ist passiert?«
    Â»Henrys Frau ist ertrunken.«
    Â»Wann?«
    Â»Gestern Nacht.«
    Â»Das kann nicht sein.«
    Â»Sie ist ertrunken. Er hat es mir gerade gesagt. Gerade eben.«
    Â»In der Nacht? Gestern Nacht?«
    Moreany blickte vom Boden auf. »Ich muss sofort zu ihm.«
    Betty reichte Moreany den Mantel, während sie überlegte, ob Henry bereits gewusst hatte, dass Martha tot war, als sie ihm Marthas Wagen gebracht hatte. Wäre er dann hochgerannt in ihr Zimmer, um nachzuschauen?
    Honor Eisendraht kam ins Büro, und setzte sich aschgrau in Moreanys Eames Chair, der nur für Staatsgäste reserviert war.
    Â»Sie haben sicher alles gehört, Honor. Bitte sagen Sie meine Termine ab, für morgen auch. Betty …«
    Â»Ja?«
    Â»Venedig müssen wir verschieben. Bitte begleite mich.«
    Honor sah vom Fenster aus, wie die beiden auf dem Parkplatz in Moreanys dunkelgrünen Jaguar stiegen. Er öffnete ihr die Tür und ließ sie zuerst einsteigen. Honor nahm den Stapel Tarot-Karten aus der Handtasche und mischte gründlich. Dann zog sie eine Karte und legte sie vor sich auf den Tisch. Es war die

Weitere Kostenlose Bücher