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Die Wahrheit und andere Lügen

Die Wahrheit und andere Lügen

Titel: Die Wahrheit und andere Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Arango
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kurz darauf sein Fischgeschäft.
    Â»Der Diesel verreckt«, sagte er. »Ohne den Kutter können wir uns begraben.«
    Ohne ein weiteres Wort ging er an seiner Helga vorbei, die wie immer telefonierte, statt zu arbeiten, öffnete die Holzklappe im Boden und verschwand im Keller. Mit einem geschulterten Fass Slibowitz kam er aus dem Keller zurück und trat die Klappe mit dem Fuß zu.
    Seine Helga hielt den Hörer mit der Hand zu. »Was hast du vor?«
    Â»Wie sieht das aus?«
    Â»Was ist mit dem Geschäft?«
    Â»Wir schließen.«
    Â»Was wird aus der Fischsuppe?«
    Â»Da wird nichts draus.«
    Â»Wann kommst du wieder?«
    Obradin ging zu seiner Helga um den Fischtresen, strich ihr mit den haarigen Fingern über die Wange, küsste sie zum Abschied auf den Mund.
    Â»Du weißt, wann.«
    Nur Minuten später rief Helga den Jagdaufseher und den Arzt aus dem Nachbarort an. Beide sollten sich bereithalten, in etwa zwei Stunden sei es wieder einmal so weit. Der Arzt packte daraufhin seine Tasche, der Jagdaufseher öffnete den Waffenschrank und entnahm ihm ein spezielles Gewehr.
    * * *
    Blass und unrasiert stand Henry in Gummistiefeln vor dem Haus, sein Hemd hing aus der Hose. Er stützte sich auf eine Schaufel, als Moreanys Jaguar über die Anhöhe kam. Der Wagen zog eine Sandfahne hinter sich her. Von Weitem sah Henry schon, dass Moreany nicht allein im Wagen saß. Poncho lief dem Wagen entgegen und sprang bellend herum. Henry sah Betty auf dem Beifahrersitz. Sie machte keinerlei Anstalten, auszusteigen. Poncho stellte sich neugierig auf die Hinterbeine und schnupperte an der Seitenscheibe des Jaguars.
    Wortlos umarmten sich beide Männer. Moreanys glatt rasierte, rosige Wangen mit den weißen Koteletten rochen nach Old Spice. Henry blickte zu Betty im Wagen. Warum stieg sie nicht aus? Hatte sie Moreany bereits alles gestanden? Moreany löste sich von Henry, seine Augen waren gerötet.
    Â»Ich weiß nicht, was ich sagen soll.«
    Henry klopfte ihm auf die Schulter.
    Â»Was soll man da sagen?«
    Â»Ich habe Betty gebeten, mich zu begleiten. Sie war in meinem Büro, als du angerufen hast.«
    Henry öffnete die Beifahrertür des Jaguar und reichte Betty die Hand. Das Aroma von Maiglöckchen entströmte dem Wagen. Sie spürte seinen warnend festen Griff, als er sie umarmte, sein unrasiertes Kinn kratzte ihre Wange. Sie küssten sich geschwisterlich, das Ziehen in ihrem Unterleib verstärkte sich.
    Â»Bitte versuch, mich nicht zu hassen, Liebster.«
    Â»Ich liebe dich. Wie geht es unserem Kind?«
    Â»Es hat sich eben bewegt. Ich kann es spüren.«
    Â»Hast du Moreany etwas gesagt von uns?«
    Â»Natürlich nicht. Bist du sicher, dass sie tot ist?«
    Henry schaute sie befremdet an. »Willst du, dass sie wiederkommt?«, fragte er leise.
    In Henrys Atelier roch es nach kaltem Tabak. Das Manuskript lag neben der Schreibmaschine auf Henrys Schreibtisch. Sein Füllfederhalter lag darauf, ein zerrissenes Gummiband zusammengerollt daneben. Die Lamellen vor den riesigen Panoramafenstern waren halb geschlossen, Notizen und zerknülltes Papier lag überall auf dem Boden verstreut.
    Henry hatte den ganzen Morgen lang sein Atelier umdekoriert und mit kreativer Unordnung geschmückt. Entlang sorgsam angelegter Denkpfade hatte er ungelesene Bücher zu kleinen Stapeln getürmt, hier und da noch mit Lesezeichen versehen. Selbst die halb volle Kaffeetasse und der zerbis sene Zigarrenstummel fehlten nicht, alle Sportzeitungen und Herrenmagazine waren verschwunden. Zum Schluss hatte er die Bohrinsel in eine Ecke unter den Botero mit den fetten Kindern gerollt. Es sah nach Arbeit aus. Bis auf das Manuskript war alles von ihm.
    Betty erspähte das Manuskript sofort und ging darauf zu, streckte die Hand aus.
    Â»Nicht anfassen!« Sie blieb stehen.
    Â»Bitte nicht. Es ist noch nicht fertig.«
    Â»Sorry. Du schreibst mit Maschine ?«
    Â»Ja. Warum nicht?«
    Â»Es gibt eine Kopie von dem Text, oder?«, wandte Moreany ein.
    Â»Noch nicht. Das ist das Original. Es kommt abends in den Tresor.«
    Moreany und Betty tauschten einen kurzen Blick. »Das ist, gelinde gesagt, riskant, Henry.«
    Henry öffnete eine Flasche Single Malt und goss drei Gläser voll. Moreany verschwand kurz auf der Gästetoilette, sein Gang war unsicher. Betty schaute sich um. Der Raum war sehr ordentlich gewesen, als sie ihn im

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