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Die Wahrheit und andere Lügen

Die Wahrheit und andere Lügen

Titel: Die Wahrheit und andere Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Arango
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neugierig, was Henry wohl schreiben würde.
    Â»Wie heißt Ihre Frau?«
    Â»Ruth. Sie ist … ähm, ja. Ruth mit th.«
    Er schrieb Beste Wünsche für Ruth von Henry Hayden.
    Â»Darf ich Sie noch was fragen?«, stieß der Juniorchef eilig heraus, als Henry ihm das Buch gab. »Meine Frau schreibt nämlich.«
    Â»Wie drollig«, erwiderte Henry, »meine auch.«
    Â»Nur so, also für die Schublade, aber sie hat Talent. Das sage ich nicht, weil sie meine … ähm, ja. Also, ich soll Sie fragen, was das Wichtigste ist, das man beim Schreiben beachten muss.«
    Â»Das ist eine komplizierte Frage so plötzlich am Nachmittag. Das Wichtigste ist«, Henry kratzte sich mit dem kleinen Finger unter der rechten Augenbraue, »das Wichtigste ist, nur über Dinge zu schreiben, die man kennt.«
    Â»Die man kennt. Aha.«
    Â»Und sich viel Zeit fürs Weglassen nehmen. Das Weglassen macht die meiste Arbeit.«
    Â»Weglassen?«
    Â»Das, was Sie nicht schreiben, was Sie mit Absicht weglassen oder streichen, das macht die größte Mühe und dauert am längsten. Verraten Sie niemandem, dass Sie’s von mir haben.«
    Dann fuhr Henry zu seinem Lieblingsimbiss hinter dem Bahnhof und aß dort eine Bulette. Es war Zeit geworden für einen guten Plan. Dort kamen ihm die besten Ideen.
    Womit anfangen? Kommissar Jenssen, dieser nette Idiot, konnte ihm vorerst nicht gefährlich werden, weil er an Marthas Badeunfall glaubte. Die Kriminalpolizei würde sich nicht rühren, solange die Leiche nicht auftauchte. Aber genau das war der Punkt. Die Leiche konnte – im wahrsten Sinne des Wortes – jederzeit auftauchen. Es dauert bekanntlich Ewigkeiten, bis menschliche Knochen sich in Meerwasser auflösen. Algen stören dabei, ungünstige Temperaturen verlangsamen die Zersetzung, geringe Sauerstoffkonzentration spielt auch eine Rolle, da hilft nur Tiefe. Die Tiefsee ist ein erfreulich unerforschter Ort.
    Dann war da Betty. Sie war dermaßen wütend und enttäuscht von ihm, dass sie ihn ein Weilchen in Ruhe lassen würde. Aber früher oder später würde das Kind zur Welt kommen. Henry war nicht sicher, ob das klärende Gespräch in der Oyster Bar zum Thema, was sich wirklich an den Klippen abgespielte, sie daran hindern würde, zur Polizei zu rennen und alles auszuposaunen. Sie hatte jetzt Angst. Angst ist eine Wahrheitsdroge – sie spricht mit geschlossenem Mund. Man soll niemandem Angst machen, der einen verpfei fen könnte, das wusste Henry. Ein Wort von Betty über den Treffpunkt an den Klippen, und selbst der dämlichste Polizist zählt eins und eins zusammen.
    Und dann war da noch Sonja. Sie wollte er nicht enttäuschen. Henry hatte sich geprüft und festgestellt, dass sein Verlangen nach ihr ebenso körperlich wie spirituell war – in seinem Alter ein absoluter Glücksfall. Bei der dramatischen Begegnung am Strand und später auf dem Mühlstein in seinem Garten hatte keine Berührung stattgefunden, doch die unstoffliche Induktion der Libido zwischen ihnen, die Vereinigung ihrer Schatten war pure Magie gewesen. Und sie mochte seinen Hund. Alles bestens. Was Henry wieder zu Punkt zwei zurückführte: Betty. Er musste sie irgendwie abfinden, zufriedenstellen, beruhigen – mit anderen Worten: Sie musste aus dem Weg.
    Er öffnete das Handschuhfach und zog die Rechnung für ein Handbuch der Observation heraus, die er in Gisbert Faschs brauner Tasche gefunden hatte. Mit rotem Stift war Büro auf der Rechnung vermerkt, bestimmt, um sie von der Steuer abzusetzen. Neben seiner Adresse stand das Kaufdatum. Fasch hatte dieses gewiss nützliche Buch am 3. Mai vergangenen Jahres gekauft. Schau an, dachte Henry, mein Geburtstag.
    Sein Navigationssystem brachte ihn ohne Umwege in die richtige Straße. Leicht abschüssig und kopfsteingepflastert verlief sie parallel zu einer sehr stark befahrenen Schnellstraße. Der Verkehrslärm schwappte über die Dächer und brach sich zwischen den Hauswänden. Henry bog ab und parkte den Wagen in einer Nebenstraße. Der glänzende Maserati fiel auf zwischen den kleinen Autos, die hier standen, er passte nicht in die Gegend, aber es war ja nur für eine Viertelstunde.
    Putz bröckelte von der Fassade, Graffiti waren an Mauer und Haustür geschmiert. Die Tür war offen, auf dem Namensschildchen neben dem Klingelknopf stand Fasch mit

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