Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Wahrheit und andere Lügen

Die Wahrheit und andere Lügen

Titel: Die Wahrheit und andere Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Arango
Vom Netzwerk:
von 1979 und ein paar ausgeschnittene Fotos von Henry. Eines davon aus Country Living mit Henry und seiner Frau auf dem Sofa. Mit Filzstift hatte Fasch Henrys Konterfrei eingekreist, was nachträglich lächerlich wirkte.
    Â»Woher kennen Sie Herrn Hayden?«
    Es war nicht sinnvoll, das abzustreiten. »Er hat mich aus dem Wagen gezogen und ins Krankenhaus gebracht. Aber das wissen Sie wahrscheinlich schon.«
    Jenssen nickte. »Wie können Sie sich daran erinnern? Sie waren doch bewusstlos.«
    Â»Es ist eine Schlussfolgerung. Der Mann, der mich ins Krankenhaus brachte, ist auch der, der mich aus dem Auto zog.«
    Â»Völlig korrekt. Wieso war er bei dem Unfall dabei?«
    Â»Ich kann Ihnen versichern«, erwiderte Fasch, der auf diese Frage vorbereitet war, »dass Herr Hayden keine Schuld an dem Unfall trägt.«
    Â»Das glaube ich Ihnen. Er war also rein zufällig genau dort?«
    Â»Ja. Sie sagten, das sei kein Verhör.«
    Der athletische Polizist warf einen melancholischen Blick aus dem Fenster. Er würde niemals ein so schönes Privatzimmer kriegen, wenn er mal krank war. »Ich will ganz offen sein. Nur eine Stunde, nachdem er Sie in der Notaufnahme abgeliefert hat, trafen wir uns in der Gerichtsmedizin, wo Herr Hayden seine Ehefrau identifizieren sollte.«
    Â»Sie ist ertrunken, ich hab’s gelesen.«
    Â»Die Tote in der Gerichtsmedizin war nicht seine Frau.«
    Â»Warum erzählen Sie mir das?«
    Â»Vor ein paar Tagen ist eine weitere Frau einem Gewaltverbrechen zum Opfer gefallen. Eine junge Frau, die für das Verlagshaus Moreany unter anderem auch Herrn Haydens Romane lektorierte. Schreibt schön, dieser Hayden, ich mag seinen Stil. Kennen Sie ihn gut?«
    Fasch entschied sich für die mittlere Antwortgenauigkeit. »Wer kennt schon einen Menschen gut?«
    Â»Aber Sie sammeln Material über ihn?«
    Â»Nicht nur, ich meine: nicht mehr. Es ist alles verbrannt, aber das wissen Sie ja auch schon.«
    Â»Ich habe mich gefragt«, Jenssen zog sich einen Stuhl heran, »was Sie wohl an Herrn Haydens Vergangenheit interessiert.«
    Â»Wir waren zusammen im Sankt-Renata-Stift.«
    Â»Das war ein Waisenhaus.«
    Â»Ja, es ist ziemlich lange her.«
    Â»Sie schreiben nicht so was wie eine Biographie über ihn, oder?«
    Gisbert Fasch war nur eine Antwort weit entfernt. Dann wären sie beide Freunde geworden, der Polizist und er. Dann wäre er vielleicht um den leidigen Prozess wegen Brandstiftung rumgekommen, und gemeinsam mit der Polizei hätte er Henry zur Strecke bringen können.
    Â»Im Augenblick arbeite ich an meiner eigenen Biographie, indem ich versuche, gesund zu werden.«
    Es trat ein kurzer Moment der Stille ein. Jenssen glaubte keine Sekunde an eine zufällige Begegnung der beiden. Doch er begriff, dass er so nicht weiterkommen würde. Dieser arme Kerl würde nichts sagen, schließlich verdankte er Hayden sein Leben. Das ging zweifelsfrei aus dem Aufnahmeprotokoll der Notaufnahme hervor. Das Ungewöhnliche daran war, dass Hayden später in der Gerichtsmedizin seine selbstlose Tat mit keinem Wort erwähnte.
    Â»Da kann ich Ihnen nur von Herzen gute Besserung wünschen.«
    Â»Danke.«
    Jenssen nahm die Tasche vom Tisch. Sie war immer noch schwer. Er streckte Fasch die Hand zum Abschied hin.
    Â»Ist das alles?«
    Â»Ja.«
    Â»Meine braune Tasche hat sich nicht zufällig angefunden?«, fragte Fasch, während er Jenssens Hand schüttelte.
    Â»Leider nein. Sagten Sie – braun?«
    Â»Braun mit einem Gürtel drum. Ungefähr so groß wie Ihre.«
    Â»Sie wird ins Meer geschleudert worden sein beim Aufprall.«
    Â»So wird es gewesen sein«, erwiderte Fasch, »sie war ja nicht angeschnallt.«

XX
    H enry sah die Gestalt vom Küchenfenster aus, als er den Fasan tranchierte. Sie huschte im Halbschatten zwischen den Brombeerbüschen zur Scheune. Ein Flügeltor war angelehnt, das andere stand weit offen. Poncho lag vollkommen ruhig neben ihm auf dem kühlen Küchenboden. Er hatte scheinbar nichts bemerkt. Henry legte das Tranchiermes ser beiseite und stieg rückwärts über den liegenden Hund. Es war das dritte Mal in einer Woche, dass er den Eindringling gesehen hatte. Vor wenigen Tagen war er weit entfernt über die Felder gegangen, die zu seinem dreißig Hektar großen Anwesen gehörten. Henry hielt ihn für einen Spaziergänger, der

Weitere Kostenlose Bücher