Die Wahrheit
aber mehr darf ich Ihnen nicht sagen. Auch ich habe meine Vorschriften.«
»Na schön. Aber einen Rat darf ich Ihnen noch geben, ja? An Ihrer Stelle würde ich nicht allzu viel Arbeit in seinen Antrag stecken. Die Gerichte stehen Toten nicht offen, oder?«
»Doch, im Prinzip schon. Was genau hat der Mann getan?«
»Das müssen Sie in seiner Militärakte nachsehen.«
»Und wie komme ich an die heran?«
»Sie sind doch Anwältin, oder?«
»Ja, aber ich habe nicht oft mit dem Militär zu tun.«
Sie hörte, wie Dillard leise vor sich hin brummelte. »Da Rufus Harms Strafgefangener im Gewahrsam des Militärs ist, gehört er formaljuristisch nicht mehr der Army an. Mit seiner Verurteilung wurde er entweder unehrenhaft oder wegen schlechter Führung entlassen. Seine Militärakten wurden an das Archiv für militärische Personalakten in St. Louis geschickt. Dort werden die Originale aufbewahrt. Computerdateien oder so etwas gibt es nicht. Harms wurde vor fünfundzwanzig Jahren verurteilt, also müßten seine Unterlagen mittlerweile auf Mikrofilm übertragen worden sein, wenngleich das Personal dort ein wenig dem Zeitplan hinterherhinkt. Wenn Sie oder eine andere Person außer Harms selbst Einsicht in die Akten nehmen wollen, müssen Sie eine gerichtliche Verfügung erwirken.«
Sara schrieb alles mit. »Nochmals vielen Dank, Sergeant Dillard, Sie waren mir eine große Hilfe.«
Sara hatte eine Landkarten-Datei auf ihrem Computer. Sie lud sie und zog mit der Maus eine Linie von Washington, D.C., bis zum ungefähren Standort von Fort Jackson. »Fast genau sechshundert Kilometer«, murmelte sie.
Sie eilte zur Gerichtsbibliothek im zweiten Stock und ging auf einem der dortigen Computerterminals ins Internet. Aus Gründen der Sicherheit und Vertraulichkeit verfügten die Terminals in den Büros der Assessoren nicht über Modems, doch die Computer in der Bibliothek ermöglichten einen InternetZugang. Sara wählte eine Suchmaschine an und gab Rufus Harms’ Namen ein. Während sie darauf wartete, daß der Computer seinen technologischen Zauberstab schwang, betrachtete sie die handgeschnitzte Eichentäfelung der Bibliothekswände.
Ein paar Minuten später las sie die neuesten Nachrichten über Rufus Harms sowie Berichte über seine Vergangenheit und die seines Bruders. Sara druckte alles aus. In einer Story wurde der Chefredakteur der Lokalzeitung von Harms’ Heimatstadt zitiert. Mit Hilfe eines Internet-Telefonbuchs suchte Sara die Nummer des Mannes heraus. Er wohnte noch immer in derselben Kleinstadt in der Nähe von Mobile, Alabama, in der die Harms-Brüder aufgewachsen waren.
Nach dreimaligem Klingeln wurde abgehoben. Sara stellte sich dem Mann vor, George Barker, noch immer Chefredakteur der Lokalzeitung.
»Ich habe schon mit den Zeitungen darüber gesprochen«, sagte er rundweg.
Sein schwerer Südstaatenakzent ließ Sara an schreiende Waschbären und große Gläser mit Selbstgebranntem denken. »Es wäre nett, wenn Sie mir ein paar Fragen beantworten würden, mehr nicht.«
»Bei welcher Zeitung arbeiten Sie noch mal?«
»Ich arbeite für eine unabhängige Nachrichtenagentur. Ich bin Freiberuflerin.«
»Tja, was genau wollen Sie denn wissen?«
»Ich habe gelesen, daß Rufus Harms wegen Mordes an einem jungen Mädchen auf dem Militärstützpunkt, auf dem er stationiert war, verurteilt wurde.« Sie warf einen Blick auf die Artikel, die sie ausgedruckt hatte. »In Fort Plessy, in der Nähe von Savannah, Georgia.«
»Er hat ein kleines weißes Mädchen umgebracht. Er ist nämlich Neger.«
»Ja, ich weiß«, sagte Sara knapp. »Kennen Sie den Namen des Anwalts, der Harms bei dem Prozeß verteidigt hat?«
»War eigentlich gar kein Prozeß. Er hat ein Teilgeständnis abgelegt und dafür ein milderes Strafmaß bekommen. Ich habe damals persönlich darüber berichtet. Rufus kam ja aus unserer Stadt, war sozusagen das Gegenteil vom Jungen aus der Heimat, der zum Helden wird.«
»Kennen Sie nun den Namen seines Anwalts?«
»Da müßte ich erst nachschlagen. Geben Sie mir Ihre Nummer, und ich rufe Sie zurück.«
Sara gab ihm ihre Privatnummer. »Wenn ich nicht da bin, sprechen Sie bitte auf den Anrufbeantworter. Was können Sie mir über Rufus und seinen Bruder sonst noch sagen?«
»Na ja, am auffälligsten an Rufus war seine Größe. Er muß mit vierzehn schon über eins neunzig gewesen sein. Und er war nicht schlaksig oder schlank, sondern massig und stark wie ein Ochse.«
»Ein guter Schüler? Ein schlechter?
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