Die Wahrheit
Sie den routinemäßigen Ablauf aufgeben.«
»Aber wir könnten riskieren, den Zorn des unbekannten Täters zu erregen, mit dem Ergebnis, daß er erneut zuschlägt«, sagte Elizabeth Knight.
»Diese Möglichkeit besteht immer, Richterin Knight«, gab Chandler zu. »Aber ich bin nicht davon überzeugt, daß das Verhalten des Gerichts irgendeine Auswirkung darauf hat. Falls überhaupt ein Zusammenhang zwischen den Fällen besteht.« Er schaute Ramsey an. »Aber wir sollten uns die Fälle vornehmen, an denen die beiden ermordeten Assessoren gearbeitet haben, nur um in dieser Richtung ganz sicher zu gehen. Ich weiß, es ist weit hergeholt, aber ich würde mich später vielleicht in den Hintern treten, wenn ich das Problem jetzt nicht angehe.«
»Ich verstehe.«
Chandler wandte sich an Richter Murphy. »Können Sie und Ihre Mitarbeiter heute die Fälle durchsehen, an denen Michael Fiske gearbeitet hat?«
»Ja«, erwiderte Murphy sofort.
»Und ich möchte Sie alle bitten, mit den anderen Richtern zu sprechen und festzustellen, ob irgendein Fall, den Sie in den letzten Jahren verhandelt haben, zu diesen Taten geführt haben könnte.«
Elizabeth Knight schaute ihn an; dann schüttelte sie den Kopf. »Detective Chandler, viele der Fälle, mit denen wir uns befassen, lösen in der Bevölkerung unglaubliche Emotionen aus. Wir wüßten nicht einmal, wo wir anfangen sollten.«
»Ich verstehe, was Sie meinen. Dann können Sie wohl von Glück sagen, daß noch nie jemand so etwas versucht hat.«
»Nun ja, wenn Sie wollen, daß wir unseren üblichen Ablauf beibehalten, muß das Diner zu Ehren von Richter Wilkinson heute abend wohl stattfinden«, sagte Elizabeth Knight.
Murphy richtete sich protestierend auf. »Beth, der Mord an zwei Assessoren des Gerichts verbietet es wohl, daß wir dieses Diner veranstalten.«
»Sie haben gut reden, Tommy. Sie haben das Diner nicht vorbereitet. Ich schon. Kenneth Wilkinson ist fünfundachtzig Jahre alt und hat Bauchspeicheldrüsenkrebs. Ich möchte nicht das Risiko eingehen, das Essen abzusagen, so unglücklich der Zeitpunkt auch sein mag. Das Diner ist sehr wichtig für Wilkinson.«
»Und auch für Sie, nicht wahr, Beth?« sagte Ramsey.
»Da haben Sie recht. Wilkinson hat für mich eine sehr große Rolle gespielt. Müssen wir eine weitere Diskussion über die Standespflichten der Juristen führen, Harold? Vor all diesen Leuten?«
»Nein«, sagte er. »Sie kennen meine Meinung zu diesem Thema.«
»Ja, allerdings, und das Diner wird stattfinden.«
Der Wortwechsel faszinierte Fiske. Er glaubte, die Andeutung eines Lächelns über Ramseys Gesicht huschen zu sehen, als der Mann sagte: »Na schön, Beth. Es steht mir fern, Sie in einer wichtigen Angelegenheit zum Umdenken überreden zu wollen. Vor allem wenn es um eine Sache geht, die ans Triviale grenzt.«
KAPITEL 36
Tremaine setzte den Army-Hubschrauber auf dem Rasenstück auf. Als die Rotoren langsamer kreisten, schauten er und Rayfield zu der Limousine hinüber, die am Rand der Baumgrenze stand. Sie lösten die Sicherheitsgurte, stiegen aus dem Helikopter und liefen gebückt unter den Rotoren zu dem Wagen hinüber. Rayfield nahm vorn Platz, während Tremaine auf den Rücksitz schlüpfte.
»Schön, daß ihr es geschafft habt«, sagte der Mann auf dem Fahrersitz und drehte sich zu Rayfield um.
Der Colonel riß die Augen auf. »Was ist denn mit dir passiert?«
Die Prellungen spielten ins Violette und waren an den Rändern gelblich verfärbt. Eine bildete an der rechten Schläfe einen Halbkreis um das Auge, die beiden anderen breiteten sich am Hals unter dem Hemdkragen aus.
»Fiske«, erwiderte der Mann.
»Fiske? Er ist tot.«
»Sein Bruder. John Fiske«, sagte der Mann ungeduldig. »Er hat mich in Michaels Wohnung erwischt.«
»Hat er dich erkannt?«
»Ich habe eine Maske getragen.«
»Was hat er in der Wohnung seines Bruders zu suchen gehabt?«
»Dasselbe, was ich gesucht habe. Alles, was den Cops helfen könnte, die Wahrheit herauszufinden.«
»Hat er was gefunden?«
»Es gab nichts mehr zu finden. Wir haben Fiskes Laptop schon vorher aus der Wohnung geholt.« Er schaute Tremaine an. »Und du hast seinen Aktenkoffer aus dem Wagen genommen, bevor du den Jungen getötet hast, nicht wahr?«
Tremaine nickte.
»Wo ist der Aktenkoffer jetzt?« fragte der Mann.
»Ein Haufen Asche.«
»Gut.«
»Ist dieser Bruder, dieser John, ein Problem?« wollte Rayfield wissen.
»Vielleicht. Er war früher bei der Polizei. Er und eine
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