Die Wahrheit
würde keine weitere Chance bekommen. Als der Jeep den Kampf endgültig zu gewinnen drohte, öffnete er den Mund und stieß einen schrecklichen Schrei aus, der Tränen aus seinen Augen zwang. Als Josh sah, was für eine unmögliche Leistung sein Bruder für ihn zu vollbringen versuchte, rollten auch über sein erschöpftes Gesicht Tränen hinab.
Als Rufus spürte, daß der Jeep sich Zentimeter um qualvollen Zentimeter hob, öffnete er die Augen wieder. Seine Gelenke und Sehnen brannten vor Anstrengung, während er keuchte und schob und hob und den Schmerz ignorierte, der unentwegt Warnsignale durch seinen zitternden Körper schickte. Der Jeep kämpfte um jeden mörderischen Zentimeter. Er knarrte und ächzte und verfluchte ihn. Doch dann stand Rufus aufrecht und gab dem Metallklotz einen letzten Stoß. Wie eine brechende Welle überwand der Jeep den Punkt, an dem es kein Zurück mehr gab, prallte hart auf den Boden, schaukelte einmal und blieb dann auf allen vier Reifen stehen.
Rufus setzte sich in den Jeep. Er zitterte am ganzen Körper vor der unglaublichen Anstrengung.
Josh betrachtete ihn mit stummem Staunen. »Verdammt«, brachte er schließlich hervor. Mehr fiel ihm zu dem, was er gerade beobachtet hatte, nicht ein.
Rufus’ Herz raste mittlerweile so schnell, daß er schon befürchtete, sein Erfolg könne sich als Pyrrhussieg erweisen. Er griff sich an die Brust und atmete tief durch. »Bitte«, sagte er leise, »bitte nicht.« Eine Minute später stand er langsam auf, schlurfte zu seinem Bruder hinüber und trug ihn vorsichtig in den Jeep. Er entfernte das Stoffdach, das sich verschoben hatte, als Tremaine und Rayfield aus dem Fahrzeug geschleudert worden waren. Dann holte er so viele Vorräte aus dem Campingwagen, wie er auf der Rückbank des Jeeps verstauen konnte, und legte auch seine Bibel und die Waffen dazu. Er setzte sich hinter das Lenkrad, zögerte dann und schaute zu Tremaine und Rayfield hinüber. Schließlich sah er zu der kreisenden Krähe hoch, zu der sich nun mehrere Brüder gesellt hatten, die fast so groß wie Bussarde waren. Wenn er die beiden Toten einfach liegen ließ, würden sie in weniger als einem Tag bis auf die Knochen abgenagt sein.
Rufus stieg aus dem Jeep und ging zu Rayfield hinüber. Er mußte den Puls des Mannes nicht überprüfen. Die Augen logen nicht. Und der Gestank des entleerten Darms auch nicht. Er zog zuerst Rayfields und dann Tremaines Leiche in die Hütte, sprach ein paar schlichte Worte, erhob sich dann und schloß die Tür zu. Eines Tages würde er ihnen alles vergeben, was sie getan hatten, aber nicht heute. Rufus stieg wieder in den Jeep, warf Josh einen zuversichtlichen Blick zu und drehte den Zündschlüssel. Der Motor sprang nicht beim ersten, aber beim zweiten Versuch an. Das Knirschen des Getriebes gab Rufus einen Schnellkurs im Fahren mit einem Schaltwagen. Aber der Jeep rollte mit einem Ruck vorwärts, und die Brüder ließen das Schlachtfeld hinter sich.
KAPITEL 49
Die Richter nahmen nach mündlichen Verhandlungen traditionsgemäß ein privates Mittagessen im Speisesaal im ersten Stock des Gebäudes ein. Fiske hatte Sara im Büro gelassen; sie mußte noch einiges aufarbeiten. Er nutzte die Gelegenheit, um selbst Nachforschungen zu betreiben. Da die Mordkommission der Polizei von Washington ihn nicht mehr mit Informationen versorgte, mußte er sich nach einer anderen Quelle umsehen. Vielleicht würde ihm Leo Dellasandro, der Chief der Gerichtspolizei, helfen.
Als er durch den Gang schritt, dachte er an die mündliche Verhandlung, der er gerade beigewohnt hatte. Obwohl er Anwalt war, war ihm nie richtig bewußt gewesen, was für eine Macht von diesem Gebäude ausging. Der Oberste Gerichtshof hatte im Verlauf seiner Geschichte bei einer Vielzahl wichtiger Themen einige sehr unpopuläre Entscheidungen getroffen. Viele davon waren mutig und, zumindest nach Fiskes Meinung, richtig gewesen. Aber die Erkenntnis, daß das Land heutzutage vielleicht ganz anders aussehen würde, hätten sich ein oder zwei Richter bei einigen oder allen dieser Abstimmungen anders entschieden, war beunruhigend. Seiner Meinung zufolge war das ein bedenklicher, wenn nicht gar gefährlicher Zustand.
Fiske dachte auch an seinen Bruder, und daran, wie viel Gutes er zweifellos an diesen Ort gebracht hatte, auch wenn er nur ein wissenschaftlicher Mitarbeiter gewesen war. Mike Fiske war mit seinen Ansichten und Taten immer fair und gerecht gewesen. Und wenn er seine Zuneigung erst
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