Die Wahrheit
gegen ihn sprang und beide Männer so hart gegen die Wand der Hütte prallten, daß das primitive Gebäude bis in die Fugen des Holzes erschüttert wurde. Josh gelang es, Tremaines Hieb mit dem Unterarm zu blockieren. Seine ganze Seite tat höllisch weh. Was für ein Geschoß auch immer in ihn eingedrungen war, es war nicht in seiner Schulter steckengeblieben, sondern hatte auch andere Teile seines Körpers erkundet.
Es gelang ihm, nach Tremaine zu treten und ihn einmal im Magen zu erwischen, doch der Mann sprang sofort wieder auf und griff Josh erneut an. Josh spürte, wie das Messer durch sein Hemd und in seine Seite drang, und drohte das Bewußtsein zu verlieren. Den Schmerz, den die zweite Verletzung hervorrief, nahm er kaum wahr, so überwältigend war der von der ersten. Er konnte kaum noch ausmachen, wie der Mann das Messer herauszog und den Arm zu einem letzten Stich zurückbog. Wahrscheinlich zielt er auf meinen Hals, dachte Josh träge, während sein Gehirn allmählich dicht machte. Stiche in die Kehle gingen schnell und waren immer tödlich. Das würde er jedenfalls tun, dachte er, während die Dunkelheit sich um ihn herum schloß.
Das Messer sollte sich niemals senken. Es verharrte an der höchsten Stelle und näherte sich Josh Harms nicht. Tremaine trat und schlug um sich, während er von dem Verletzten zurückgerissen wurde. Rufus stand direkt hinter ihm. Mit einer Hand umklammerte er das Gelenk der Hand, welche die Waffe hielt. Er schlug sie immer wieder gegen die Hütte, bis Tremaine schließlich die Finger öffnen und das Messer fallen lassen mußte. Tremaine war muskulös und hatte eine ausgezeichnete Ausbildung im Nahkampf genossen. Doch er war wesentlich kleiner als Rufus. Und im Kampf Mann gegen Mann gab es nur wenige, die Rufus Harms gewachsen waren. Wenn der Riese erst einmal jemanden gepackt hatte, war er wie ein Grizzlybär. Und er hatte Vic Tremaine, den Mann, der sein Leben in einen Alptraum verwandelt hatte, von dem er glaubte, er würde nie aufhören, fest im Griff.
Als Tremaine versuchte, einen Unterarm gegen Rufus’ Luftröhre zu drücken, änderte Rufus seine Taktik, hob Tremaine ganz vom Boden hoch und rammte sein Gesicht immer wieder gegen die Wand, bis Tremaine benommen von den Stößen und sein Gesicht ganz blutig war. Schließlich stieß Rufus ihn mit dem Kopf durch das Fenster, und Glasscherben schnitten tief in das Gesicht des Mannes. Rufus hoffte, daß Tremaine das Bewußtsein verloren hatte, doch dann schrie Josh vor Schmerz laut auf, und Rufus schaute zu ihm hinüber und lockerte den Griff ein wenig. Tremaine spürte seine Chance, trat gegen Rufus’ Knie, rammte einen Ellbogen in seine Niere und zwang den Riesen zu Boden. Tremaine riß sich los, rollte herum, griff sein Messer und stürzte sich auf den Wehrlosen.
Die Kugel traf ihn mitten in den Hinterkopf und fällte ihn auf der Stelle.
Rufus richtete sich mühsam auf und schaute zu seinem Bruder. Aus dem Lauf der Neun-Millimeter-Pistole in Joshs Hand stiegen noch Rauchfäden empor. Dann ließ Josh die Pistole fallen und sackte auf den Boden zurück. Rufus lief zu ihm und kniete neben ihm nieder. »Josh! Josh?«
Josh öffnete die Augen und sah zu Tremaines verdrehter Leiche hinüber. Er war gleichzeitig erleichtert und entsetzt über das, was er getan hatte. Selbst der schlimmste Feind auf der Welt sah tot gar nicht mehr so furchterregend aus.
Er richtete den Blick wieder auf Rufus. »Das hast du gut gemacht, kleiner Bruder. Scheiße, besser als ich.«
»Hättest du ihn nicht erschossen, wäre ich jetzt tot.«
»Durfte nicht zulassen, daß er dich erwischt. Durfte nicht zulassen...«
Rufus riß das Hemd seines Bruders auf und sah sich die Verletzungen an. Das Messer hatte nur seine Seite aufgerissen. Wahrscheinlich keine lebenswichtigen Innenorgane getroffen, aber die Wunde blutete verdammt stark. Die Kugel war jedoch etwas ganz anderes. Rufus sah das Blut, das aus dem Mund seines Bruders tropfte, und den immer glasigeren Blick seiner Augen. Rufus stoppte die Blutung an der Oberfläche, konnte aber nichts dagegen tun, was im Körperinneren vor sich ging. Und genau das konnte Josh umbringen. Rufus zog sein Hemd aus und legte es über seinen Bruder, der nun trotz der Hitze zitterte.
»Halte durch, Josh.« Rufus lief zum Jeep und durchsuchte ihn schnell. Er fand den Erste-Hilfe-Kasten und hastete zu seinem Bruder zurück. Josh hatte die Augen geschlossen und schien nicht mehr zu atmen.
Rufus schüttelte ihn sanft.
Weitere Kostenlose Bücher