Die Wahrheit
Seine muskulösen Unterarme beugten und entspannten sich wieder, als er eine Schraube anzog.
»Ich gehe morgen hin. Dachte, ich putze mich fein raus, bring’ ihr ein paar Blumen mit und ein kleines Mittagessen, das Ida kochen wird. Ein ganz besonderer Tag. Nur sie und ich.«
Ida German war die direkte Nachbarin. Sie wohnte schon länger in dem Viertel als sonst jemand. Sie war Johns Vater eine gute Gesellschaft gewesen, seit seine Frau nicht mehr hier war.
»Das wird Mom gefallen.« John nippte an seinem Bier und lächelte angesichts der Vorstellung, was die beiden für ein Bild abgeben würden.
Ed machte fertig, womit er sich gerade beschäftigte, und brauchte dann kurze Zeit, um sich zu waschen. Das Schmieröl entfernte er mit Benzin und einem Lappen von den Händen. Dann holte auch er sich ein Bier und nahm gegenüber von seinem Sohn auf einem alten Werkzeugkasten Platz.
»Hab’ gestern mit Mike gesprochen«, sagte er.
»Ach ja«, erwiderte Fiske ohne das geringste Interesse.
»Er macht sich am Gericht verdammt gut. Weißt du, sie haben ihn aufgefordert, noch ein Jahr zu bleiben. Er muß wirklich schwer was auf dem Kasten haben.«
»Er ist bestimmt der Beste, den sie je hatten.« Fiske stand auf und ging zur offenen Tür. Er atmete tief ein und füllte seine Lungen mit dem Geruch von frisch gemähtem Gras.
Als Kinder hatten er und sein Bruder jeden Samstag den Rasen gemäht und die üblichen Hausarbeiten erledigt, und dann war die ganze Familie zur wöchentlichen Fahrt zum A&P-Supermarkt in den riesigen Kombi gestiegen. Wenn die Jungs wirklich fleißig gewesen waren, die Hausarbeit ordentlich getan und das Gras nicht zu kurz geschnitten hatten, bekamen sie ein Soda aus dem Automaten neben dem Mülleimer vor dem A&P. Für John und Mike war es flüssiges Gold gewesen. Die Fiske-Brüder dachten die ganze Woche an dieses Soda. Als Kinder hatten sie sich sehr nahegestanden. Obwohl John drei Jahre älter war als Michael, hatten sie jeden Morgen gemeinsam die Times Dispatch ausgetragen und auch zusammen Sport getrieben. Mike war körperlich so fit gewesen, daß er an seinem ersten Jahr an der Hochschule in einigen Uni-Auswahlmannschaften gespielt hatte. Die Fiske-Brüder. Alle hatten sie gekannt, sie respektiert. Es waren glückliche Zeiten gewesen.
Diese Zeiten waren vorbei. John drehte sich wieder um und schaute seinen Vater an.
Ed schüttelte den Kopf. »Hast du gewußt, daß Mike einen Lehrauftrag an einer der großen Universitäten ausgeschlagen hat, Harvard oder so, um am Gericht zu bleiben? Er hat jede Menge Angebote von großen Kanzleien. Er hat sie mir gezeigt. Mein Gott, die haben ihm so viel Geld geboten, ich konnte es kaum glauben.« Der Stolz in seiner Stimme war nicht zu überhören.
»Noch mehr Macht für ihn«, sagte Fiske.
Ed schlug sich plötzlich auf den Schenkel. »Was ist los mit dir, Johnny? Verdammt noch mal, was hast du gegen deinen Bruder?«
»Ich habe nichts gegen ihn.« »Und warum kommt ihr zwei dann nicht mehr miteinander aus wie früher, verdammt? Ich habe mit Mike gesprochen. Es liegt nicht an ihm.«
»Hör mal, Pop, er hat sein Leben, und ich habe meins. Ich kann mich nicht erinnern, daß du bei Onkel Ben auch so empfindlich gewesen bist.«
»Mein Bruder war ein Schnorrer und Säufer. Dein Bruder ist es nicht.«
»Schnorren und Saufen sind nicht die einzigen Laster auf der Welt.«
»Verdammt, ich verstehe dich einfach nicht, mein Sohn.«
»Das geht den meisten so. Stell dich hinten an die Warteschlange!«
Ed drückte die Zigarette auf dem Betonfußboden aus, stand auf und lehnte sich gegen einen der freiliegenden Beschlagnägel der Garage. »Eifersucht zwischen Brüdern gehört sich nicht. Du solltest dich darüber freuen, was Mike aus seinem Leben gemacht hat.«
»Ach? Du hältst mich also für eifersüchtig?«
»Bist du’s denn nicht?«
Fiske nippte wieder an seinem Bier und schaute zu dem bauchnabelhohen Stacheldrahtzaun hinüber, der den kleinen Hinterhof am Haus seines Vaters umgab. Zur Zeit war der Zaun dunkelgrün gestrichen. Im Lauf der Jahre hatte er viele Farben gesehen. John und Mike hatten ihn jeden Sommer gestrichen, jeweils in der Farbe, die bei der jährlichen Renovierung der Büroräume der Spedition übriggeblieben war, für die Ed gerade arbeitete. Fiske sah zu dem Apfelbaum hinüber, der eine Ecke des Hofes vereinnahmte. Er wies mit der Bierflasche darauf. »Du hast Raupen. Hol mir eine Lötlampe.«
»Ich kümmere mich schon darum.«
»Du
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