Die Wall Street ist auch nur eine Straße
hatte mich mit meiner Meinung nicht zurückgehalten, dass die Kurse überzogen und der Markt überhitzt waren, und ich hatte öffentlich gesagt, dass jeder an der Wall Street eines Tages zur Arbeit kommen und feststellen werde, dass der Markt um 300 Punkte gesunken ist. Aber was dann tatsächlich passierte, war noch erstaunlicher. Der Aktienmarkt fiel um 512 Punkte; der größte Tagesverlust, den es in der amerikanischen Geschichte je gegeben hatte. Und weil ich den Markt, natürlich, leer verkauft hatte, war es in gewisser Hinsicht der schönste Geburtstag, den ich je hatte.
Weil jeder wusste, dass ich einen Crash vorhergesagt hatte, wurde in der Presse viel über mich geschrieben. TV-Teams tauchten in meinem Kurs auf. Die Kopie eines Zeitungsartikels, in dem man mich zitiert hatte, wurde ans Schwarze Brett der Business School gehängt, und einer der anderen Professoren riss sie herunter. Er hatte zu den Dozenten gehört, die Kurse über den Aktienmarkt hielten und vor dem Zusammenbruch ihren Studenten klargemacht hatten: »Rogers ist ein Idiot. Er weiß nicht, wovon er redet, und hat nicht einmal einen Doktortitel.« Er war kein glücklicher Professor.
ICH GLAUBE NICHT , dass viele Amerikaner die höhere Schulausbildung in diesem Land als die beste der Welt bezeichnen würden. Die meisten scheinen sich einig darüber zu sein, dass die Schulbildung auf allen Stufen, von der Grundschule angefangen, heute ziemlich hoffnungslos ist. Aber im gleichen Atemzug würden genau diese Leute behaupten, dass die Universitätsausbildung in den USA weltweit ihresgleichen sucht.
Vielleicht traf das früher einmal zu.
An amerikanischen Universitäten konnte man früher ausgezeichnete Lehrer finden, und die besten von ihnen stiegen bis zur Spitze auf. Aber dann wurde die lebenslange Anstellung der Professoren eingeführt. Sie ist der Sicherheitsgurt auf dem akademischen Karussell, und hervorragende Leistungen in der Lehre waren noch nie der richtige Weg, sie zu erreichen. Publikationen, Forschung und Campuspolitik führen zu einer solchen Anstellung. Und auf dem Weg dorthin wird die Lehre oft als Ablenkung verstanden. Ich weiß noch, wie mir ein Professor einmal sagte: »Das ist ein fantastisches Leben. Zu schade, dass alle diese Studenten hier herumlaufen.«
Schlimmstenfalls finden inkompetente Lehrer in einer lebenslangen Anstellung einen Zufluchtsort. Das akademische Leben in den USA wird von lebenslang angestellten Professoren kontrolliert. Sie forschen; sie besuchen die Bibliothek. Die meisten würden es nicht offen zugeben, aber wenn Studenten vorbeikommen, die zusätzliche Hilfe brauchen, sich über ihre Noten beschweren oder Arbeiten einreichen, die benotet werden müssen, dann behindern sie das, was die College-Professoren für ihre eigentliche Aufgabe halten.
Es gibt auf dieser Welt keinen Job, nirgendwo auf der Welt, für den man nach sieben Jahren eine lebenslange Jobgarantie erhält. Außer an einer Universität. Wenn man Arzt oder Partner in einer Anwaltskanzlei wird, muss man immer noch Leistung bringen. Wenn man hingegen an einer Hochschule eine lebenslange Anstellung erhält, muss man sich schon mit 35 Jahren nie wieder bewähren. Wenn man weder das Universitätsgebäude in Brand steckt noch jemanden ermordet, hat man einen Job fürs ganze Leben. Und ein Job als College-Professor kommt politischer Patronage oder einer von der Mafia geleiteten Großbaustelle so nahe wie nichts anderes, was die Verpflichtung zur Arbeit betrifft. Als ordentlicher Professor, so habe ich ermittelt, könnte ich meine Verpflichtungen erfüllen, indem ich im Durchschnitt eines Kalenderjahres fünf Stunden pro Woche arbeite.
Diese lebenslange akademische Anstellung ist eine relativ neue Entwicklung im amerikanischen Bildungswesen. Und ihre Grundlage, die akademische Freiheit, erscheint heute ein wenig absurd. Braucht ein Dozent für Buchhaltung eine lebenslange Anstellung, die seine politischen Ansichten im Hörsaal schützt? Oder ein Physikprofessor? Politische Überzeugungen über Vermögensgegenstände und Verbindlichkeiten? Über die Schwerkraft und fallende Körper? Vielleicht müssen die Professoren voreinander geschützt werden, aber das stellt keine Rechtfertigung für eine lebenslange Anstellung dar.
Dies ist ein Aspekt des außergewöhnlichen Umfelds, das die amerikanische Universitätsausbildung zu einer der größten Blasen unserer Zeit macht. Heute kostet ein Studium in Princeton 56 000 Dollar pro Jahr. Und das ist nur
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