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Die Wall Street ist auch nur eine Straße

Die Wall Street ist auch nur eine Straße

Titel: Die Wall Street ist auch nur eine Straße Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jim Rogers
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ein Bankkonto, denn das war offensichtlich die beste Art, meine Geschäfte abzuwickeln. Ich wählte dabei immer die größte Bank des Landes. Ich dachte mir: Sollte diese Bank Probleme bekommen, wird die Regierung sie übernehmen, verstaatlichen, und ich werde nicht riskieren, mein Konto zu verlieren. Damals brauchte man nur zur Niederlassung einer solchen Bank zu gehen. Heute ist das für einen Amerikaner natürlich fast auf der ganzen Welt so gut wie unmöglich. Wenn man von einer Bank die Genehmigung erhält, dort ein Konto zu eröffnen, muss man alle erdenklichen persönlichen Befragungen und Sicherheitsprüfungen über sich ergehen lassen. Früher konnte man das meist am Telefon erledigen. Mehrmals habe ich einfach von New York aus angerufen. Ich nannte meinen Namen, sagte, dass ich ein Konto eröffnen wolle, faxte eine Kopie meines Reisepasses und sandte einen Scheck. Heute nicht mehr. Nicht wenn man aus dem Land der Freien kommt.
    Die Eröffnung des Schweizer Bankkontos führte mich in meine Zeit an der Universität zurück. Als ich in Oxford studierte, gab es dort nicht viele Amerikaner, aber die wenigen, an die ich mich erinnern kann, saßen meist beim Mittagessen zusammen, und gelegentlich setzte ich mich zu ihnen. Meist sprachen sie über Politik, und einmal sagte ich zu ihnen, während sie alle später Präsident der USA werden wollten, sei es mein Ziel, ein »Gnom von Zürich« zu werden. Sie hielten mich für einen großen Witzbold, aber weil sie wenig über Finanzen wussten, hatten sie wahrscheinlich nur eine vage Vorstellung von dem, was ich meinte.
    Der Ausdruck »Gnom von Zürich« wurde in dem Jahr geprägt, als ich in Oxford ankam. Er kam von der politischen Linken als Reaktion auf die sich beschleunigende Spekulation gegen das Britische Pfund. Es handelte sich um eine abfällige Bezeichnung für Schweizer Bankiers, die von diesen aber später augenzwinkernd übernommen wurde. Sie wird George Brown zugeschrieben, dem Chef der Labour-Partei, der nach einem Krisentreffen anlässlich des Wertverlusts der Währung sagte: »Die Gnome von Zürich sind wieder am Werk.« Die Bezeichnung sollte das Bild der gierigen, unterirdisch lebenden Kreaturen aus der europäischen Sagenwelt heraufbeschwören, die eifrig und heimlich ihre Reichtümer zählen. Premierminister Harold Wilson versprach, ihre »bedrohliche« Macht zu bekämpfen.
    Einige der angesehensten Schweizer Banken entstanden während der Nachwehen der Französischen Revolution, als Frankreich unter Napoleon von Turbulenzen durchgerüttelt wurde. Die Bankiers flohen aus dem Land und brachten ihr Geld über die Berge in das nicht weit entfernte Genf. Einige der großen, alten Schweizer Banken wurden 1795, 1803 oder jedenfalls in diesem Zeitraum gegründet. Aber damals waren die Schweizer Banktraditionen schon recht etabliert. Die Schweiz war schon seit dem Ende der Renaissance ein Finanzzentrum. Seither ist sie bekannt für Stabilität, gesunde Wirtschaft, gesunde Währung und Schutz der finanziellen Privatsphäre. Seit langer Zeit ist sie ein sicherer Hafen für die Reichen, die den Folgen politischer Umwälzungen in Europa entgehen wollen; von den französischen Adeligen, die vor der Guillotine flohen, bis zu den Juden, die eineinhalb Jahrhunderte später aus Deutschland flüchteten. Aus eben diesen Gründen hat sie in späteren Zeiten das Geld zahlreicher Despoten, krimineller Organisationen und Halunken angezogen.
    Das Schweizer Bankgeheimnis war traditionell vorbehaltlos. Selbstverständlich sind alle Banken verpflichtet, Stillschweigen über Ihre finanziellen Angelegenheiten zu bewahren. Wer vor 50 Jahren sein Geld bei einer Bank in Chicago deponierte, ist ebenfalls von Vertraulichkeit ausgegangen. Wie wir gesehen haben, ist das in Amerika nicht mehr der Fall. Die Regierung kann in Ihr Bankkonto schauen, in Ihr Schlafzimmer, in Ihre Post … wohin sie will. Und auf ähnliche Weise, wie uns unsere Privatsphäre entzogen worden ist, haben die Schweizer kürzlich auch einen Teil ihrer Privatsphäre aufgegeben, indem sie dem Druck der USA nachgaben. Das Schweizer Bankgeheimnis ist nicht mehr so unantastbar, wie es einmal war.
    Trotzdem: Wenn Menschen Zuflucht für ihr Geld suchen, geht es ihnen in erster Linie um Sicherheit. Sie wünschen sich Stabilität. Sie wollen die Sicherheit haben zu wissen, dass sie ihr Geld zurückbekommen werden – und zwar mindestens so viel, wie sie investiert haben. Das hängt einzig und allein von einer gesunden

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