Die Wall Street ist auch nur eine Straße
Franken wieder sehr gefragt. The Economist beschrieb die Schweizer Währung als »unschuldigen Unbeteiligten in einer Welt, in der die Politiker der Eurozone ihre Schuldenkrise nicht bewältigt haben, in der die Politik Amerikas darauf abzuzielen scheint, Investoren abzuschrecken, und die Japaner interveniert haben, um den Wert des Yens niedrig zu halten«.
Das alles ist wahr, aber ich glaube, dass das Problem tiefere Ursachen hat. Jahrzehntelang verfügten die Schweizer beinahe über ein Monopol im Finanzwesen. In der Folge verloren sie mehr und mehr an Kompetenz. Die gesamte Volkswirtschaft wurde übermäßig beschützt. Swiss Air machte Bankrott, weil es nie Konkurrenz gab. Letztlich zerstört sich jedes Monopol selbst, und die Schweiz korrodiert von innen – wie man es voraussehen konnte. Folglich stiegen andere Finanzzentren auf: London, Liechtenstein, Wien, Singapur, Dubai, Hongkong.
Die Schweizer Franken, die ich 1970 gekauft habe, besitze ich immer noch. Der Wechselkurs ist seitdem um 400 Prozent gestiegen. Gut, das war vor über 40 Jahren, aber 400 Prozent sind nicht zu verachten. Zudem habe ich Zinsen erhalten. Hätte ich das Geld auf einem amerikanischen Sparkonto gehalten, dann wäre sein Wert gegenüber dem Franken um 80 Prozent gesunken.
AUF UNSERER REISE UM DIE WELT durchquerten Paige und ich im Herbst 1999 Westeuropa. Wir kamen aus Russland und verbrachten die dreieinhalb Monate vor unserer Hochzeit auf europäischem Boden. Ohne die Hochzeit wären wir viel früher nach Afrika aufgebrochen. Allerdings war es gut, mehr Zeit in Westeuropa zu verbringen. Nun konnte ich mir wirklich eine Meinung darüber bilden, dass die EU eine gemeinsame Währung einführen wollte, den Euro.
Von Anfang an war ich der Meinung, dass die Welt so etwas wie den Euro dringend brauchte. Die Zentralbanken der Welt hielten etwa 60 Prozent ihrer Devisenreserven in Dollar. Meiner Meinung nach wies der Dollar schwerwiegende Mängel auf, und die Aussicht, der Euro könne ihn als wichtigste Reservewährung und Tauschmittel ablösen, schien so etwas wie eine Lösung des Problems zu sein. Wirtschaft und Bevölkerung der Europäischen Union sind größer als die der USA. Daher hat sie die Größe und Tiefe, die für eine Weltreservewährung nötig sind. Zudem weist sie insgesamt, im Gegensatz zu den USA, kein großes Handelsbilanzdefizit auf. Als ich Ende 1999 in Europa war, am Ende des ersten Jahres dieser Währung, nahm man an, dass 30 Prozent des weltweiten Handels in Euro abgerechnet würden, sollte die Währung Erfolg haben.
Allerdings glaubte ich damals ebenso wenig wie heute, dass der Euro in seiner jetzigen Form überleben wird.
Der Euro, der aus dem Vertrag von Maastricht (1992) entstand, wurde offiziell am 1. Januar 1999 eingeführt. Seit 2002 gibt es Münzen und Banknoten. Er sollte eine starke Währung sein, nach dem Vorbild der Währungen Deutschlands, der Niederlande und Luxemburg, deren Volkswirtschaften ebenfalls stark waren. Diese drei Länder, bei einer Dominanz Deutschlands, zusammen mit Belgien, Frankreich und Italien, deren Volkswirtschaften schwächer waren, bildeten die sechs Gründungsmitglieder der Europäischen Gemeinschaft. Als der Euro eingeführt wurde, einigten sich alle Mitglieder der Eurozone – heute sind es 17 Länder – darauf, ihre Wirtschaft nach dem deutschen Modell zu führen. Nicht einmal die Deutschen scheinen damit Erfolg gehabt zu haben.
Der Vertrag von Maastricht schrieb vor, dass kein Mitgliedsland in einem bestimmten Jahr ein Defizit von mehr als 3 Prozent aufweisen durfte. Die Franzosen waren die Ersten, die zweifelhafte Buchführungstechniken anwendeten, um die Formalien des Vertrags zu erfüllen. Wir werden unsere Pensionsverpflichtungen nicht in diesem, sondern erst im nächsten Jahr erfüllen, entschieden sie. In diesem Jahr sieht es gut aus, im nächsten Jahr wird es schlechter aussehen, aber das nächste Jahr ist das nächste Jahr, und darüber machen wir uns keine Sorgen. Das ist die Scarlett-O’Hara-Finanztheorie: »Schließlich, morgen ist auch noch ein Tag.« Das wurde als ziemlich schockierend empfunden. Sogar die Italiener, die sich seit Jahrzehnten zweifelhafter Buchführungspraktiken bedienen – eigentlich sogar seit Jahrhunderten –, waren schockiert. Und dann, nachdem sie sich von dem Schrecken erholt hatten, machten sie es den Franzosen nach.
Heute schimpfen alle über die Griechen, aber Ende der 1990er-Jahre frisierten alle an ihren Bilanzen herum, um den
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