Die Wall Street ist auch nur eine Straße
Straßen. Kvass, aus fermentiertem Brot hergestellt, war das mit Abstand am weitesten verbreitete Getränk in der UdSSR. Brot war spottbillig, aber das bedeutete auch, dass die Menschen nichts anderes hatten. Die Filipinos und die Deutschen lernten schnell, dass Preiskontrollen zum Scheitern verurteilt sind. Die Sowjets merkten das erst, als das ganze Land in seine Bestandteile zerfiel.
Die International Energy Agency berichtete, dass die bekannten Ölreserven der Welt pro Jahr um 6 Prozent abnehmen – wobei neu entdeckte Vorkommen schon mit eingerechnet sind. Das bedeutet: Ohne neue Entdeckungen oder große Erfolge bei Extraktionsprozessen wie Fracking wird es in 16 Jahren kein Öl mehr geben. Zu keinem Preis. Zum Glück werden mit Fracking zumindest kurzfristige Erfolge dabei erzielt, das Angebot zu erhöhen. Ernsthafte Versorgungsprobleme wie dieses haben zur Hausse der Rohstoffe geführt, und die Preise werden noch viel höher steigen.
Die Folge wird Instabilität sein.
Wenn der Kupferpreis steigt, bekommen das nicht viele Leute sofort mit. Aber wenn Weizen und Zucker teurer werden, bemerkt das jeder noch am selben Tag und jeder ist unglücklich. Und das führt oft zu sozialen Unruhen. Tunesien, Ägypten, Libyen, Jemen, Syrien … das ist erst der Anfang. Wenn die Nahrungsmittelpreise weltweit steigen, werden wir mehr Unzufriedenheit sehen, weitere Regierungen werden stürzen und noch mehr Länder werden auseinanderfallen.
In meinem Buch Die Abenteuer eines Kapitalisten schrieb ich über meine Reise mit Paige durch Ägypten:
»Wir lernten auch, warum die Regierung Hosni Mubaraks allgemein verhasst ist. Die Regierung hat überall ihre Spione und würgt jede Initiative, jede andere Meinung ab. … Mubarak hält sich nur wegen der USA noch an der Macht, und die Wut auf ihn ist so weit verbreitet, dass, ob er nun gestürzt wird oder einfach nur stirbt, am Ende ernsthafte Unruhen im größten Land des Nahen Ostens ausbrechen werden. … Wenn Sie nach Kairo fliegen, zu den Pyramiden gekarrt werden und sich dann in den Bus nach Luxor setzen, werden Sie von alledem nichts bemerken.«
Das war im Herbst 2000. Mubarak wurde 2011 gestürzt, als in Ägypten das Volk auf die Straße ging. Es gibt diese Diktatoren, die seit langer Zeit an der Macht sind, deren Volk nun Zugang zum Internet, zu vielfältigen Medien, zu endlosen Informationsströmen und sofortiger Kommunikation hat, um sich politisch zu organisieren. Und die Leute tragen ihre Unzufriedenheit auf die Straße. Aber der Funke, der die Aktivitäten entzündet, ist nicht unbedingt politischer, sondern vielmehr ökonomischer Natur: steigende Inflation, hohe Arbeitslosigkeit, eskalierende Lebenshaltungskosten und vor allem höhere Preise für Lebensmittel. Das sind Dinge, die Menschen zutiefst wütend machen. (Die Demonstrationen auf dem Tiananmen-Platz in Peking waren zunächst ein Protest gegen Inflation und steigende Preise. Erst als westliche Journalisten auftauchten, riefen die Studenten Begriffe wie »Demokratie«.). Die Ägypter interessieren sich nicht wirklich dafür, ob die US-Außenministerin Hillary Clinton sich für sie einsetzt, weil sie sie für politisch unterdrückt hält, vor allem weil die Amerikaner jahrzehntelang die wichtigste Stütze des Regimes waren. Aber sie machen sich Sorgen, wenn der Brotpreis explodiert und sie nichts dagegen unternehmen können. Und sie machen sich Sorgen, wenn sie keinen Job finden.
Das passiert jetzt im Nahen Osten, und es wird auch noch in anderen Ländern passieren. Wir sehen das in verschiedenen Teilen Europas und allmählich auch in den USA. Nicht zum ersten Mal.
Im März 1894, dem zweiten Jahr der bis dahin schlimmsten Wirtschaftskrise in den USA, organisierte Jacob S. Coxey, ein reicher Geschäftsmann aus Massillon in Ohio, einen Marsch auf Washington, um gegen die Untätigkeit der Regierung angesichts der Krise zu protestieren und sich beim US-Kongress dafür einzusetzen, dass ein riesiges Arbeitsförderungsprogramm ins Leben gerufen wird. Am Höhepunkt der vierjährigen Wirtschaftskrise, die durch die Panik von 1893 ausgelöst wurde, war ein Fünftel der arbeitsfähigen Bevölkerung der USA ohne Job. Bis die Krise vorbei war, machten etwa 15 000 Unternehmen Bankrott, darunter 500 Banken und ein großer Teil der Eisenbahnen, unter anderem Union Pacific, Northern Pacific und Atchison, Topeka and Santa Fe.
»Coxeys Armee«, wie man sie später nannte, war eine von mehreren Tausend Gruppen arbeitsloser
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