Die Wall Street ist auch nur eine Straße
schimpfte und beklagte sich, und Chaos war die unvermeidliche Folge. Als Beispiele des asiatischen Wegs zur politischen Offenheit nennen sie Südkorea und Taiwan. Beide waren früher grässliche, von den USA unterstützte Diktaturen. Japan war einmal ein von einer einzigen Partei geführtes Land, gestützt vom amerikanischen Militär. Singapur erreichte seinen jetzigen Status unter der autoritären Herrschaft einer Staatspartei. Alle diese Länder sind seither reicher und offener geworden.
In seinem Werk Der Staat beschreibt Plato, dass sich Gesellschaften von der Diktatur über die Oligarchie und die Demokratie zum Chaos und dann wieder zurück zur Diktatur entwickeln. Das hat eine gewisse Logik, und Plato war ein sehr kluger Mann. Ich weiß nicht, ob die Asiaten jemals den Staat gelesen haben, aber der von ihnen eingeschlagene Weg scheint zu belegen, dass Plato wusste, wovon er sprach.
Das Modell der chinesischen Volksrepublik unterscheidet sich nicht nur von dem der Sowjets, sondern es unterscheidet China auch markant von den erwähnten dreißigjährigen Diktaturen. Die chinesischen Politiker betrieben einen großen Aufwand, um die Wirtschaft des Landes zu verändern, wahrscheinlich weil sie den 1,3 Milliarden Chinesen zu mehr Wohlstand verhelfen wollten. Wenn wir uns den Nahen Osten anschauen, finden wir dort nicht viele politische Führer mit ähnlichen Prioritäten. Die dortigen Diktatoren scheffeln Geld und überweisen es auf Schweizer Bankkonten. Sie sind jederzeit bereit, aus dem Land zu fliehen, falls das notwendig werden sollte. Ihre Prioritäten bestehen darin, ihre Familien und Freunde mit Geld zu versorgen und heimlich viel Geld aus dem Land zu schaffen.
Ja, manche Chinesen tun das ebenfalls. Korruption existiert in China ebenso wie überall sonst auch – einschließlich der USA. Menschen neigen dazu, ob es sich nun um Chinesen, Afrikaner oder Amerikaner handelt. Aber wenn die Chinesen Korruption entdecken, gehen sie recht brutal damit um. Die Schuldigen werden in der Regel inhaftiert oder hingerichtet, und zwar sehr schnell. Nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua wurden zwischen 2003 und 2008 mehr als 880 000 Parteimitglieder bestraft. Das steht im scharfen Gegensatz zum Westen, wo nur sehr wenige Regierungsmitglieder oder Geschäftsleute dafür bestraft wurden, dass sie das System missbrauchten. Wer in China eine Position innehat, in der er von Korruption profitieren könnte, muss sein Amt nach fünf Jahren aufgeben und anderen Leuten Platz machen, die dieselbe Qualifikation aufweisen. So gibt es immerhin eine gewisse Fluktuation.
Die politischen Unruhen, die man unter dem Begriff »Arabischer Frühling« zusammenfasst, werden meiner Meinung nach nicht zu einem erneuten Aufblühen der Kultur führen, die den Nahen Osten zur Wiege der Zivilisation gemacht hat. Medizin, Physik, Astronomie, Mathematik … das alles kam aus der arabischen Welt. Während die Europäer, das heißt die Germanen und Kelten, noch nicht lange aus ihren Höhlen gekrochen waren und sich für den Kampf eine blaue Kriegsbemalung ins Gesicht schmierten, schufen die Araber das Alphabet und schenkten der Welt Dinge wie Algebra und die sich am Sternenhimmel orientierende Navigation. Heute ist in dieser Region die einzige Kraft, die politisch organisiert zu sein scheint, darauf aus, wieder einen fundamentalistischen Islam einzuführen. Amerika, das Diktaturen in Tunesien, Ägypten und im Jemen unterstützte, während es Lippenbekenntnisse zum Wunsch nach Freiheit in diesen Ländern äußerte, wird mit den Resultaten nicht zufrieden sein. Statt einer Verschiebung hin zu mehr Demokratie werden wir eine Tendenz sehen, die sich gegen Amerika und gegen Israel richtet. Wie ich schon sagte: In schwierigen Zeiten sucht jeder nach Sündenböcken. Die Sündenböcke sind in der Regel Ausländer, und der historische, traditionelle Sündenbock im Nahen Osten sind die USA.
In den 30 Jahren der Mubarak-Diktatur in Ägypten erlebte China einen raketenartigen wirtschaftlichen Aufstieg. In Ägypten gab es überhaupt keine Fortschritte. Der Nahe Osten hat kaum wirtschaftliche Besserung oder sonstige Veränderungen erlebt. Wenn sich greifbare ökonomische Fortschritte zeigen, ist es weniger wahrscheinlich, dass die Menschen zornig werden. Wenn sie gut essen, ein Haus und ein Auto haben, gehen sie mit geringerer Wahrscheinlichkeit auf die Straße. Das war das Genie Singapurs. Es gehörte zu den höchsten Prioritäten der Regierung,
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