Die Wall Street ist auch nur eine Straße
jedem ein eigenes Heim zu verschaffen, auf das er stolz sein konnte. Sofort begann die Regierung, Slums abzureißen und HDB-Wohnungen zu bauen. Wenn man ein eigenes Haus hatte, verspürte man weniger Drang, sich der Kommunistischen Partei anzuschließen oder aktives Gewerkschaftsmitglied zu werden. Man nahm am Wachstum der Wirtschaft teil.
In manchen Teilen Asiens ist der Wohlstand offensichtlich, und an manchen Orten war er ein Vorläufer der Demokratie. In Singapur wird es interessant sein zu sehen, ob der Wohlstand seine Profiteure dazu bringen wird, die Regierung zu befürworten. Die alten Leute wissen noch, wie schwer das Leben früher war und wie effektiv die Regierung seither ihre wirtschaftlichen Aussichten verbessert hat, während Einwanderer wie wir wissen, wie schlecht es in anderen Ländern aussieht. Die folgende Generation hat nur die guten Zeiten erlebt. Jeder unter 40 ist im Wohlstand aufgewachsen, und diese Leute sind es, die auf eine Mehrparteiendemokratie drängen. Das geschah in Taiwan, in Südkorea und in Japan. Junge Leute erreichen Erfolge und wollen die Regierung austauschen können, genauso wie Plato es sagte. Das ist nichts Neues.
In China wird das bestimmt eines Tages passieren. Das Land steht vor der schwierigen Aufgabe, einer riesigen und weit verstreut lebenden Bevölkerung außerhalb der großen Städte Wohlstand zu bringen. Aber die Regierung hat sich als schnell und fähig erwiesen. Mao Zedongs Kulturrevolution und der große Sprung nach vorn stellten den Tiefpunkt eines jahrhundertelangen Niedergangs dar, an dessen Ende alles schlagartig zusammenbrach. Schon in den beiden Jahren nach Maos Tod wurden unter Deng Xiaoping einige positive Veränderungen auf den Weg gebracht. Im November 1978 besuchte Deng neben anderen Ländern auch Singapur, wo er Premierminister Lee Kuan Yew traf. Singapur lieferte ein Modell für die Veränderungen in China und die spätere Bewegung hin zur Marktwirtschaft. 1990 gab es in China schon eine richtige Börse. Heute floriert das Land, weil es dem Unternehmertum freien Lauf ließ. Die Leute können tun, was sie wollen. Ja, es gab zentrale Planung; ja, es gab Staatsunternehmen, das alles trifft zu. Aber was manche als Sozialismus chinesischer Prägung betrachten, ist einfach ein Überrest, eine Folge der Tatsache, dass in China 30 Jahre lang alles Staatseigentum war. Was wir heute in China sehen, ist Kapitalismus.
Die Chinesen gehören zu den besten Kapitalisten der Welt. Kalifornien ist kommunistischer als China. Massachusetts ist sozialistischer als China. Ich bin vielen Geschäftsleuten begegnet, die es lieben, in China Geschäfte zu machen, denn sobald sie die Starterlaubnis in der Tasche haben, lässt man sie ziemlich unbehelligt. Und diese Erlaubnis zu bekommen, ist nicht besonders schwierig. Natürlich gibt es Einschränkungen und Horrorgeschichten. Aber die meisten dieser Leute würden lieber in China Geschäfte machen als irgendwo sonst auf der Welt, einschließlich Südkorea, Europa und natürlich auch einschließlich der USA.
15. Die Sonne geht im Osten auf
Fachleute, die sich in der Presse auslassen, haben großes Vergnügen an der Prognose, China stehe vor einer harten Landung oder sogar vor einem Kollaps, weil es mit einer Wachstumsrate konfrontiert ist, die sich so nicht aufrechterhalten lässt. Sie stellen Zahlen wie 8 oder 7,5 Prozent in den Raum. Zunächst einmal will jedes Land, auch die USA, eine hohe Wachstumsrate erreichen. Ohne eine hohe Wachstumsrate hätten alle Politiker zu leiden. Wichtiger ist aber noch, dass die Zahlen, die man von einer Regierung erhält, nicht nur eine Illusion sind.
Alle Zahlen über Wachstumsraten sind unzuverlässig. Mich verblüfft es, dass Indien behauptet zu wissen, was in Indien vorgeht, von China oder den USA ganz zu schweigen. Amerika revidiert ständig seine Zahlen, und die meisten von ihnen sind frei erfunden. Im Lauf der Jahre habe ich gelernt, sie überhaupt nicht zu beachten. Sie sind größtenteils Übungen in Public Relations.
Wenn es um die Wachstumsrate geht, verwenden die Inder für ihre Angaben das als Basis, was aus China berichtet wird, um sicherzustellen, dass ihre Zahlen besser sind als die Chinas oder zumindest gleichauf liegen. All dieses Gerede, wie stark China gewachsen ist oder nicht, ist nichts als Propaganda. Was ich weiß ist, dass immer, wenn ich nach China komme, dort etwas Greifbares passiert. Und was ich erfahre, wenn ich dort bin, ist alles, was ich wirklich wissen
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