Die Wand der Zeit
an« – ich zeige es ihm – »und zieht die Klinge so nach unten. Das muss man tun, damit man sie essen kann.« Ich merke, dass ich mit ihm rede wie mit einem Kind.
Ich lege die Fische auf den Boden, nehme seine Hand und schließe seine Finger um den Griff des Messers. Er hält es fest gepackt, macht aber keine Anstalten, die Fische aufzuheben. Ich sehe, wie seine Fingerknöchel weiß werden. Ich trete von ihm weg. Angst habe ich nicht. Er ist zwar größer als ich, aber langsam und schwach, und als ehemaliger Soldat bin ich im Nahkampf geübt. Eigentlich bin ich gespannt, was er macht. Aber er unternimmt keinen Versuch aufzustehen, und nach einer Weile lockert sich sein Griff. Das Messer fällt auf den Boden. Im Fallen ritzt ihm die Klinge einen Finger auf. Ein TropfenBlut fällt auf die Fische. »Hochhalten«, sage ich. »Dann hört das bald auf.« Gehorsam hält er den Finger hoch. Und während ich am Höhleneingang sitze und die Fische ausweide, sehe ich, dass er ihn nicht runternimmt. Er sieht aus wie jemand, der mitten in einem Vortrag erstarrt ist. Ich muss schmunzeln.
Toras Mutter war achtundsechzig, als sie starb. Das ist ein gutes Alter. Sie hat bis zuletzt gearbeitet – einen kleinen Garten an der Stadtmauer besorgt. Eines Tages kam sie nicht aus dem Bett. Als Tora sie dann gegen Abend fand, konnte sie kaum noch sprechen oder sich bewegen. Es war ein Todesurteil. Ihr Garten ging in andere Hände über, sie nahm Abschied, und Tora richtete den Blick nach vorn. Zum Trauern war wenig Zeit.
Ich kannte ihre Mutter gut. Den geliebten Garten hatte ich ihr zugeteilt. Es war ein winziges Fleckchen, das aber viel hergab, und schließlich musste jeder etwas tun. Sie pflanzte Kartoffeln und Kürbisse an und hatte einen kleinen Orangenbaum. Unter dem saß sie abends immer im Schatten und unterhielt sich mit den Nachbarn, ihren Gärtnerkollegen. Wenn ich vorbeikam, tauschte ich auch manchmal Nettigkeiten mit ihr aus. Ich glaube, sie mochte mich nicht besonders. Sie war immer höflich, denn ich hatte ihr ja die Arbeit besorgt, ging mit ihrer Tochter und war der Marschall, doch unsere Gespräche drehten sich immer nur um ihr Gemüse und das Wetter. Über Tora redeten wir nicht.
Sie fehlt mir mehr als mancher andere, die Mutter. Ich denke oft an sie. Sie steht für das, was aus mir hätte werden können. Gern hätte ich mich zur Ruhe gesetzt, meine Nachmittage in der Sonne verbracht, mein Gemüsebeet gehegt und nur beim Plausch mit alten Bekannten an früher gedacht. Am meistenfehlt mir die Sonne, das Nickerchen am späten Nachmittag, wenn die Bienen in den Orangenblüten summen. Eine Idylle, die mir verweigert wurde. Ich hätte mir aber auch schlimmere Gegenden für die Verbannung aussuchen können. Hier musste ich kämpfen, aber mit harter Arbeit und sorgfältiger Planung habe ich mich behauptet. Als in Ungnade gefallener Führer verjagt, habe ich ihnen in zehn Jahren erneut gezeigt, wie man in einer Welt überlebt, in der zuerst kein Überleben möglich scheint. Aber sie sehen ja nichts davon.
Beim Abendessen fixiere ich ihn mit meinem Blick, den er nicht erwidert. Wie zuvor isst er hungrig und schnell. Es erinnert mich daran, wie wir alle gewesen sind. Wir alle haben notgedrungen schnell gegessen. Ich erinnere mich, wie er damals geschaufelt hat. Ich hatte ihm mal beim Essen zugesehen. Er blickte erst vom Teller auf, als der letzte Bissen verzehrt war. Er leckte sich sogar die Finger ab, was ich widerwärtig fand.
»Morgen gehen Sie mit mir in den Wald«, sage ich. »Sie können mir helfen, Holz hierherzubringen.« Ich glaube zwar nicht, dass er mir eine große Hilfe sein wird, aber inzwischen bin ich mir sicher, dass er normal gehen kann, und wenn er sich Kost und Logis verdienen will, muss er zu Kräften kommen.
Als ich am nächsten Morgen vom Strand zurück bin und wir gefrühstückt haben, werfe ich ihm die Jacke zu, die ich gefunden habe. Er fängt sie auf. Ich bin jetzt sicher, dass sie ihm gehört hat. Er betastet den Stoff, die Messingknöpfe, öffnet wie vor Überraschung ein wenig den Mund. Er sieht wie ein kleiner Junge aus. »Ziehen Sie sie an«, sage ich. »Sie gehört Ihnen doch, oder? Eine Generalsjacke.« Das spreche ich nicht als Frage aus. Er zeigt keine Reaktion. Stattdessen legt er meine Jacke ab, steht auf und zieht die andere an. Sie passt genau. Er zieht den Kragenzurecht und strafft seinen Rücken. Ich sehe ihm interessiert zu; er ist wie ein Soldat, der sich auf den Kampf
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