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Die Wand der Zeit

Die Wand der Zeit

Titel: Die Wand der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Bruce
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vorbereitet.
    »Kommen Sie«, sage ich, »wir gehen Holz holen«, und mache mich auf den Weg. Er folgt mir zwar, hält aber ungefähr zehn Schritte Abstand. Obwohl er schon wieder etwas besser beisammen ist, stapft er dahin, als sei es eine große Anstrengung für ihn. Ich höre seine Schritte im Matsch, ihr leise schmatzendes Geräusch. Jedes Mal, wenn ich stehen bleibe, um auf ihn zu warten, hört auch das Geräusch auf. Er kommt nicht näher als auf zehn Schritte heran.
    Im Wald werfe ich ihm wortlos die Tasche zu, die ich für Holz nehme, und hake die Axt vom Gürtel. Er geht im Kreis um mich herum und lässt mich nicht aus den Augen. Dann bleibt er vor mir stehen. Er steht auf einem kleinen Erdhügel, die Tasche über der Schulter, den Kopf hoch erhoben, die Jacke wie Blut auf seiner blassen Haut. Während ich den Baum fälle und die Äste abhacke, steht er einfach nur da und beobachtet mich.
    Als ich außer Atem komme, höre ich auf und beuge mich vor, die Hände auf die Knie gestützt. »Jetzt Sie«, sage ich. »Sie können mich mal eine Weile ablösen. Ich bin müde.« Ich richte mich auf, trete auf ihn zu und halte ihm mit dem Blatt voran die Axt hin. Er lässt die Tasche fallen und schlurft, die Arme leicht angehoben, von mir weg. Seine Füße graben Furchen in die Kiefernadeln. Ich bleibe stehen. »Was haben Sie denn?«, frage ich barsch. »Was haben Sie?«, wiederhole ich. »Glauben Sie, ich will Ihnen was tun? Meinen Sie nicht, das wäre längst passiert, wenn ich es vorhätte?« Er schweigt. »Ich habe Sie gerettet, Ihnen zu essen gegeben, etwas zum Anziehen – warum sollte ich Sie jetzt umbringen?« Ich bin laut geworden. Meine Stimme klingt seltsam in der Stille. Ich meine ein Echo zu hören. Gereizt wedele ich mit der Axt und wende mich wieder dem Baumzu. Er kauert sich hin, duckt sich, hält immer noch die Hände über den Kopf. Vielleicht erwarte ich noch zu viel.
    Es fängt wieder an zu regnen. Ich hacke den Baum langsam, aber stetig klein. Ich kann ruhig durchatmen und komme trotzdem voran. Wasser tropft mir von der Nasenspitze. Ich spüre auch, wie es mir den Rücken runterläuft. Dampf steigt von meinem Körper auf. Der Geruch nasser Kiefernspäne erfüllt die Luft. Andalus hat sich vor dem Regen unter einen Baum geflüchtet. Er wirkt jetzt ruhiger. Es kann sogar sein, dass er schläft. In Minutenschnelle von Panik zum Schlaf. Ich werde aus dem Mann nicht klug. Würde er bloß reden.
    Früher hat Andalus ununterbrochen geredet. Ich wünschte mir sogar manchmal, er würde weniger reden. Wir hatten unterschiedliche Verhandlungsstile. Er war voll großer Töne, Versprechungen, Kumpanei. Dahinter verbargen sich jedoch Sturheit und die Entschlossenheit, seinen Willen durchzusetzen. Er war keineswegs der Dummkopf, als der er rüberkam, sondern ein harter Gegenspieler, den ich sehr zu achten lernte. Gegen Ende, zum Zeitpunkt der Unterzeichnung des Abkommens beim letzten amtlichen Kontakt zwischen den beiden Gruppen, schlossen wir gewissermaßen Freundschaft. Die beruhte zwar auf gegenseitigem Respekt wider Willen und nicht auf tief empfundener Sympathie, aber zumindest lernte ich doch den Menschen hinter den großen Sprüchen kennen, den Mann, der wie ich sein Volk liebte, es so sehr liebte, dass er den Krieg um jeden Preis beenden wollte.
    Einmal gab er sich eine Blöße. Er saß mir am Tisch gegenüber, den Kopf in die Hände gestützt. Unsere Helfer hatten den Raum verlassen. Er rührte sich ewig nicht. Ich dachte, er sei eingeschlafen, und wollte schon aufstehen, da sagte er zu mir: »Washaben wir getan, Bran?« Seine Stimme bebte. Einen Moment lang wusste ich nicht, was ich sagen sollte. »Wann ist der Preis zu hoch?«, fuhr er fort. »Wann kostet eine Sache so viel, dass sie zum Luxus wird, auf den wir lieber verzichten sollten?«
    »Hier geht es um keine Sache«, sagte ich. »Um keinen Luxus. Hier geht’s um den Frieden.«
    »Wir haben den Krieg beendet, Bran, Frieden haben wir nicht erreicht. Es wird eine Zeit kommen, da die Welt weder sich selbst noch uns verzeihen kann. Frieden wird nie mehr sein.«
    Ich sagte nichts. Ich stand auf, ging zu ihm und stellte mich links hinter ihn. Er hielt den Kopf in den Händen. Ich legte ihm meine Rechte auf die Schulter. Er ergriff sie. Ich spürte, wie sich seine Schulter hob und senkte. Vielleicht weinte er. Ich wusste es nicht. Aber er war offensichtlich aufgewühlt. Ich drückte seine Schulter, klopfte ihm auf den Rücken und sagte: »Wir haben gute

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