Die Wand der Zeit
nichts hören wollte, wie ein Relikt aus einer freundlicheren Zeit.
Nach ein paar Minuten stehe ich auf und kehre zur Höhle zurück, um mein Angelzeug zu holen und meinem Gefährten Gesellschaft zu leisten. Wenn ich ihm eine Rute in die Hand drücke, bekommt er vielleicht Lust zu angeln. Es ist zwar nicht die richtige Tageszeit, aber besser jetzt als nie. Wenn er jeden Tag hier sitzt und ein paar Fische fängt, kann ich währenddessen meine andere Arbeit erledigen: Brennmaterial holen, nach Knollen graben, Samen ernten und meine Messungen fortführen. So könnte es gehen. Ich angle zwar gerne, aber wenn er nur das hinbekommt, dann ist es besser als nichts. Damit hätte ich mehr Zeit, für die Zukunft zu planen.
Er dreht sich nicht um, als ich zu ihm trete. Ich setze michneben ihn und grüße ihn, was er wie üblich nicht erwidert. Ich hebe seine Hände an. Lege die Angel hinein. Er umfasst sie nicht. Ich stehe auf und nehme sie ihm ab. »Schauen Sie«, sage ich und werfe die Angel aus. Ich drücke sie ihm wieder in die Hand. »Das ist Ihre Aufgabe. Wenn Sie essen wollen, müssen Sie das Essen fangen. So gehört sich das.« Während dieser kleinen Rede beobachtet er mich. Dann dreht er sich jedoch wieder weg und starrt aufs Meer. Ich werde laut: »Ich bin nicht Ihr Ernährer. Ich kann Sie nicht bewirten, als wären Sie mein Gast. Wenn Sie hier bleiben wollen, müssen Sie arbeiten.« Ich probiere es erneut, und diesmal nimmt er die Angel, wenn er auch nicht fest zupackt. Ich entschließe mich, ihn damit allein zu lassen in der Hoffnung, dass er sein Glück versucht, wenn ich nicht dabei bin. Das Torfmoor wartet auf mich. Zum Schwimmen bleibt mir keine Zeit.
Als ich mit einem Sack voll Torf zur Höhle zurückkomme, ist er auch wieder da. Ohne Fisch und, wie ich sehe, ohne Angel. Ich gehe zu ihm hinüber und packe ihn am Arm. Meine Finger versinken im Fett wie in einem Kissen. »Ich habe Sie gewarnt«, sage ich zähneknirschend. »Von jetzt an können Sie nur noch essen, was Sie sich selbst besorgen.«
Die Angel liegt noch auf den Felsen, wo ich sie zurückgelassen habe. Ein Glück. Eine neue Rute wäre leicht zu machen, aber mit den Angelhaken bin ich vorsichtig. Irgendwann werden mir die, die ich mitgebracht habe, ausgehen, und Fische mit einem Speer zu fangen habe ich nicht gelernt. Das werde ich mir in einigen Jahren beibringen, wenn die Haken zur Neige gehen. Ich setze mich auf die Felsen und warte, dass es an der Leine ruckt.
Den ersten Fisch, der anbeißt, nehme ich mit zur Höhle.Und eine Krabbe, die ins Netz gegangen ist. Heute Abend kann ich schlemmen.
Zunächst mache ich Feuer in der Höhle. Als es so weit ist, lege ich den Fisch und die Krabbe auf einen flachen Stein über der Feuerstelle. Andalus setzt sich im Bett auf und sieht zu, wie das Essen gart. Es ist bald fertig. Ich esse direkt vom Stein, indem ich die Fischstücke mit den Fingern herunternehme. Die Krabbe lege ich auf die Seite, damit sie erst mal abkühlt. Andalus rutscht zur Bettkante vor und sieht mich erwartungsvoll an. Ich starre zurück und kaue ihm was vor. Schließlich senkt er die Augen und dreht sich weg. Er legt sich mit dem Gesicht zur Wand. Ich bekomme Gewissensbisse.
»Erzählen Sie, was passiert ist«, sage ich, ohne eine Antwort zu erwarten. Er schweigt. »Entweder Sie reden, oder Sie hungern.«
Gesättigt lehne ich mich an die Höhlenwand. Zum ersten Mal seit Tagen ist mir warm, und einmal mehr versuche ich mir Andalus’ Anwesenheit zu erklären. Ich will keinen Gefährten. Jedenfalls nicht so einen. Ich möchte mich ungern daran gewöhnen, dass jemand auf mich angewiesen ist. Wieder überlege ich, wie er hierhergekommen ist. Wenn die Axumiten auf Erkundungszug sind, müssen die Branier darüber informiert werden. Niemand kann wollen, dass die Feindseligkeiten wieder aufleben. Vielleicht erkundet ja auch Bran wieder. Als ich fort bin, hatten wir das nicht vor, aber das ist zehn Jahre her. Vielleicht hat sich die Welt geändert. Oder steht kurz davor.
Dann überlasse ich mich dem Gedanken daran, welche Schritte die Anwesenheit von Andalus erfordert. Ich denke an Heimkehr.
3
Der Gedanke schlägt mir auf den Magen. Ich bin wie ein Mann, der sich der Frau, die er liebt, nicht sicher ist – erregt, aber zu nervös, um glücklich zu sein. Es wundert mich nicht, dass ich fast ohne es zu merken beschlossen habe, nach Bran zurückzukehren.
Ich weiß auch, dass Andalus nur eine Ausrede ist, ein Grund, mit dem ich meine
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