Die Wand
zweier verschlafener Menschenstimmen. Aber das wußte ich damals noch nicht. Ichhörte auf zu flüstern und merkte es gar nicht. Ich fröstelte unter meinem Umhang und sah zu, wie der Himmel ins Graue verblaßte.
Endlich ging ich in die Hütte zurück und heizte ein. Später sah ich, daß Luchs bis zur Schlucht vorging und dort regungslos stehenblieb und wartete. Nach einer Weile kehrte er um und trabte mit gesenktem Schädel zum Haus zurück. An den folgenden drei oder vier Abenden hielt er es ebenso. Dann schien er endlich aufzugeben; jedenfalls tat er es nie wieder. Ich weiß nicht, ob er einfach vergaß oder auf seine Hundeart eher die Wahrheit begriff als ich.
Ich fütterte ihn mit Reisfleisch und Hundekuchen und füllte seine Schüssel mit Wasser. Ich wußte, daß er für gewöhnlich nur am Morgen gefüttert wurde, aber ich mochte nicht allein essen. Dann kochte ich Tee für mich und setzte mich wieder an den großen Tisch. Es war jetzt warm in der Hütte, und die Petroleumlampe warf ihren gelben Schein auf das dunkle Holz.
Ich merkte erst jetzt, wie müde ich war. Luchs, der seine Mahlzeit beendet hatte, sprang zu mir auf die Bank und sah mich lange und aufmerksam an. Seine Augen waren braunrot und warm, ein wenig dunkler als sein Fell. Das Weiße um die Iris glänzte feucht und bläulich. Plötzlich war ich sehr froh, daß Luise den Hund zurückgeschickt hatte.
Ich stellte die leere Teeschale weg, goß warmes Wasser in die Blechschüssel und wusch mich, und dann, da gar nichts mehr zu tun blieb, ging ich zu Bett.
Die Fensterläden hatte ich geschlossen und die Tür versperrt. Nach einer kleinen Weile sprang Luchs von der Bank, kam zu mir und beschnüffelte meine Hand. Dann ging er zur Tür, von dort zum Fenster und zurück zu meinem Bett. Ich redete ihm gut zu, und schließlich,nach einem Seufzer, der fast menschlich klang, suchte er seinen Schlafplatz im Ofenloch auf.
Ich ließ die Stablampe noch ein wenig brennen, und als ich sie endlich ausdrehte, schien es mir stockdunkel im Zimmer. Es war aber gar nicht so dunkel. Das niedergebrannte Herdfeuer warf einen schwachen, flackernden Schein auf den Boden, und nach einer Weile konnte ich die Umrisse der Bank und des Tisches erkennen. Ich überlegte, ob ich eine von Hugos Schlaftabletten nehmen sollte, konnte mich aber doch nicht dazu entschließen, weil ich fürchtete, irgend etwas zu überhören. Dann fiel mir ein, daß die schreckliche Wand in der Stille und Dunkelheit der Nacht vielleicht langsam näher rücken mochte. Aber ich war viel zu müde, um mich zu fürchten. Meine Füße schmerzten noch immer, und ich lag lang ausgestreckt auf dem Rücken und war zu müde, um den Kopf zu drehen. Nach allem, was sich ereignet hatte, mußte ich mich auf eine schlimme Nacht gefaßt machen. Aber als ich mich mit diesem Gedanken abgefunden hatte, war ich schon eingeschlafen.
Ich träumte nicht und erwachte ausgeruht gegen sechs Uhr, als die Vögel zu singen anhoben. Sofort fiel mir alles wieder ein, und ich schloß erschreckt die Augen und versuchte, noch einmal in den Schlaf unterzutauchen. Es gelang mir natürlich nicht. Obgleich ich mich kaum bewegt hatte, wußte Luchs, daß ich erwacht war, und kam an mein Bett, um mich mit freudigem Gewinsel zu begrüßen. So stand ich also auf, öffnete die Fensterläden und ließ Luchs ins Freie. Es war sehr kühl, der Himmel noch blaßblau und die Büsche taunaß. Ein strahlender Tag erwachte.
Plötzlich schien es mir ganz unmöglich, diesen strahlenden Maitag zu überleben. Gleichzeitig wußte ich, daß ich ihn überleben mußte und daß es für mich keinenFluchtweg gab. Ich mußte mich ganz still verhalten und ihn einfach überstehen. Es war ja nicht der erste Tag in meinem Leben, den ich auf diese Weise überleben mußte. Je weniger ich mich wehrte, desto erträglicher würde es sein. Die Benommenheit des Vortags war ganz aus meinem Kopf gewichen; ich konnte klar denken, so klar ich eben überhaupt denken konnte, nur wenn sich meine Gedanken der Wand näherten, war es, als stießen auch sie gegen ein kühles, glattes und ganz unüberwindliches Hindernis. Es war besser, nicht an die Wand zu denken.
Ich schlüpfte in Schlafrock und Hausschuhe, ging über den nassen Weg zum Wagen und stellte das Radio an. Zartes, leeres Summen; es klang so fremd und unmenschlich, daß ich es sofort abstellte.
Ich glaubte nicht mehr daran, daß etwas an dem Ding zerbrochen war. In der kalten Helle des Morgens war es mir ganz unmöglich,
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