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Die Wand

Titel: Die Wand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlen Haushofer
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seinem Räderwerk entdecken, nichts war zerbrochen, und doch wollte er nicht mehr ticken. Ich wußte gleich, daß es mir nie gelingen würde, ihn zum Gehen zu bringen. So ließ ich ihn in Ruhe und schraubte den Deckel wieder zu. Es war drei Uhr nachmittags, Krähenzeit, und sie zeigte er seither an. Ichweiß nicht, warum ich ihn behielt. Er steht noch immer neben meinem Bett und zeigt auf drei. Ich hatte jetzt nur noch die Armbanduhr, die immer in der Tischlade gelegen hatte, denn bei der Arbeit hätte ich sie nur zerbrochen.
    Heute besitze ich gar keine Uhr mehr. Die Armbanduhr verlor ich auf dem Rückweg von der Alm. Vielleicht haben sie Bellas Hufe in die Erde gestampft. Damals fand ich, es käme nicht mehr darauf an, und ging nicht zurück, um sie zu suchen. Aber wahrscheinlich hätte ich sie ohnedies nie gefunden. Es war eine so winzige Uhr, ein Spielzeug aus Gold, das mir mein Mann vor Jahren geschenkt hatte. Er hatte immer gern zierliche und hübsche Dinge an mir gesehen. Ich hätte viel lieber eine praktische, große Armbanduhr gehabt, aber heute bin ich froh, daß ich damals über das Geschenk Freude heuchelte. Nun, die kleine Uhr war also auch weg. Die Zeit, die sie angezeigt hatte, war längst nicht einmal mehr genaue Krähenzeit gewesen. Diese kleinen Uhren gehen ja nie richtig. Anfangs vermißte ich den Wecker. Ich konnte ein paar Abende lang nicht einschlafen in der neuen beklemmenden Stille. Nachts erwachte ich mit dem vertrauten Ticken im Ohr, aber es war nur mein Herzschlag, der mich geweckt hatte. Die Katze hatte den Tod des Weckers als erste erfaßt, Luchs hatte ihn überhaupt nicht bemerkt. Das Stillstehen einer Uhr war wohl kein Anzeichen, das Gefahr bedeutete, Gefahr oder Wild, und deshalb merkte er es gar nicht. Er war gegen vertraute Geräusche, mochten sie auch heftig und lärmend sein, ganz unempfindlich. Wenn aber auf dem Pirschgang ein Ast ganz leise knackte, stutzte er und blieb witternd stehen. Jetzt kann niemand mehr für mich harmlose und bedrohliche Geräusche unterscheiden. Ich muß sehr vorsichtig sein. Die Katze lauscht zwar Tag und Nacht, aber nicht für mich.
    Bis das Wetter sich wirklich besserte, war es Mai geworden. Zwei Jahre waren im Wald vergangen, und es fiel mir auf, daß ich fast nie mehr daran dachte, daß sie mich endlich finden würden. Ich verbrachte den ersten Mai damit, den Erdapfelacker umzustechen und Dünger hinzuschaffen. Auch der zweite Mai verging auf diese Weise. Über Nacht wurde es Sommer, und neben den erfrorenen braunen Frühlingsblumen drängte jetzt alles zugleich ans Licht. Ich nahm die Holzarbeit wieder auf und stapelte neuen Vorrat unter der Veranda auf. Der Winter sollte mich nicht unvorbereitet überraschen. Am zehnten Mai, es war sommerlich warm geblieben, legte ich die Erdäpfel ein und sah mit Genugtuung, daß mir diesmal mehr geblieben waren. Außerdem hatte ich den Acker wieder ein Stück vergrößern können. Auch die Bohnen legte ich ein, und damit waren die wichtigsten Frühlingsarbeiten getan. Ich beschloß, bald zur Alm aufzubrechen. Das Heu war schon sehr knapp, und ich ließ Bella und Stier auf die Weide. Stier hatte den ganzen Winter hindurch gefressen und gefressen und manchmal noch die gute Magermilch getrunken. Ich holte noch einmal Heu vom Stadel, um im Herbst bei meiner Rückkehr gleich einen kleinen Vorrat bei der Hand zu haben. Die Obstbäume standen in voller Blüte, und das Gras war in einer Woche hoch aufgeschossen, und jenseits der Wand wucherten schon die Brennesseln um das Häuschen. Die Bäume blühten in diesem Jahr sehr spät, aber so konnte man wenigstens hoffen, daß kein Reif mehr über sie kam.
    In den folgenden Tagen wurde es wieder kühl und regnerisch, aber die Eismänner erwiesen sich als sehr milde, und am siebzehnten Mai war es wieder so schön, daß ich mit der Übersiedlung anfing. Sie erschien mir heuer noch mühevoller als im Vorjahr, weil ich nochimmer nicht ganz durchatmen konnte und keuchend die schweren Lasten schleppen mußte. Das Gras auf der Alm stand schon dicht und grün, und nur an schattigen Stellen unter Bäumen lag noch ein wenig Schnee.
    Die Katze betrachtete verdrossen meine Vorbereitungen. Wenn ich sie streicheln wollte, starrte sie mir kalt in die Augen und schnurrte nicht. Sie hatte sofort begriffen, und ich konnte ihren berechtigten Unwillen verstehen. Ich fühlte mich sehr schuldig unter ihrem Blick. In den letzten Nächten schlief sie nicht mehr in meinem Bett, sondern auf der harten

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