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Die Wand

Titel: Die Wand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlen Haushofer
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kalt über den Rücken und sie tat mir leid. Sie tun mir heute noch leid, denn ich kann mir einfach nicht denken, daß es dort unten bei den bemoosten Steinen behaglich sein kann. Mein Vorstellungsvermögen ist sehr begrenzt, es reicht nicht bis ins glatte, weiße Fleisch der Kaltblüter.
    Und wie fremd sind mir die Insekten. Ich beobachte sie und bestaune sie, aber ich bin froh, daß sie so winzig sind. Eine mannsgroße Ameise ist ein Alptraum für mich. Ich glaube, ich nehme die Hummeln nur deshalb aus, weil ihr flaumiger Pelz mir ein winziges Säugetier vorgaukelt.
    Manchmal wünsche ich mir, daß sich diese Fremdheit in Vertrautheit verwandelte, aber ich bin weit entfernt davon. Fremd und böse sind für mich noch immer ein und dasselbe. Und ich sehe, daß nicht einmal die Tiere davon frei sind. In diesem Herbst ist eine weiße Krähe aufgetaucht. Sie fliegt immer ein Stück hinter den andern und läßt sich allein auf einem Baum nieder, den ihre Gefährten meiden. Ich kann nicht verstehen, warum die anderen Krähen sie nicht mögen. Für mich ist sie ein besonders schöner Vogel, aber für ihre Artgenossen bleibtsie abscheulich. Ich sehe sie ganz allein auf ihrer Fichte hocken und über die Wiese starren, ein trauriges Unding, das es nicht geben dürfte, eine weiße Krähe. Sie bleibt sitzen, bis der große Schwarm abgeflogen ist, und dann bringe ich ihr ein wenig Futter. Sie ist so zahm, daß ich mich ihr nähern kann. Manchmal hüpft sie schon auf den Boden, wenn sie mich kommen sieht. Sie kann nicht wissen, warum sie ausgestoßen ist, sie kennt kein anderes Leben. Immer wird sie ausgestoßen sein und so allein, daß sie den Menschen weniger fürchtet als ihre schwarzen Brüder. Vielleicht wird sie so verabscheut, daß man sie nicht einmal tothacken mag. Jeden Tag warte ich auf die weiße Krähe und locke sie, und sie betrachtet mich aufmerksam aus ihren rötlichen Augen. Ich kann sehr wenig für sie tun. Meine Abfälle verlängern vielleicht ein Leben, das nicht verlängert werden sollte. Aber ich will, daß die weiße Krähe lebt, und manchmal träume ich davon, daß es im Wald noch eine zweite gibt und die beiden einander finden werden. Ich glaube nicht daran, ich wünsche es mir nur sehr.
    Der Februar schien durch meine Krankheit sehr kurz. Anfang März wurde es plötzlich warm, und der Schnee schmolz von den Hängen. Ich fürchtete, die Katze werde auf Abenteuer ausziehen, aber sie zeigte keinerlei Zeichen von Verliebtheit. Die Krankheit hatte ihr hart zugesetzt. Oft spielte sie wie ein junges Kätzchen und fiel dann matt und schläfrig zurück. Sie war freundlich und geduldig, und Luchs hielt sich gern in ihrer Nähe auf. Es kam sogar vor, daß sie nebeneinander im Ofenloch schliefen. Ich war ein wenig beunruhigt durch diese Verwandlung, sie schien mir ein Zeichen dafür, daß die Katze sich noch immer nicht ganz gesund fühlte. Auch ich war noch immer etwas geschwächt, und das war gefährlich. Bis zur Frühlingsarbeit mußte ich unbedingtmeine Kraft zurückgewinnen. In meiner linken Seite war ein kleiner Schmerz zurückgeblieben. Ich konnte nicht durchatmen, und wenn ich Heu holte oder Holz hackte, behinderte mich diese Kurzatmigkeit. Der Schmerz war nicht arg, nur lästig wie eine beständige Mahnung. Ich spüre ihn heute noch vor einem Wetterwechsel, aber seit dem Sommer kann ich wieder tief atmen. Ich fürchte, die Krankheit hat mein Herz ein wenig geschwächt. Aber darauf kann ich wenig Rücksicht nehmen.
    Der ganze März hatte etwas Ermüdendes und Gefährliches an sich. Ich sollte mich in acht nehmen und konnte mich doch nur wenig schonen. Die Sonne verführte mich dazu, auf der Bank zu sitzen, aber sie ermattete mich zu sehr, und ich mußte darauf verzichten. Es ist langweilig, immer an seine eigene Gesundheit denken zu müssen, und meistens vergaß ich auch ganz darauf. Die Erde war noch kalt, und sobald die Sonne gesunken war, wurde die Luft winterlich rauh und kühl. Das Gras hatte sich unter dem Schnee so gut gehalten, daß es stellenweise grün geblieben war. Das Wild fand genügend Futter auf der Waldwiese.
    Den ganzen März verbrachte ich mit der Holzarbeit. Ich arbeitete langsam, da ich wenig Luft bekam, aber die Holzarbeit war lebenswichtig und mußte getan werden. Dabei war alles, was ich tat, ein wenig traumhaft, als ginge ich auf Watte und nicht auf festem Waldboden. Ich machte mir nicht viel Sorgen und schwankte zwischen hektischer Fröhlichkeit und oberflächlichem Kummer. Ich

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