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Die Wand

Titel: Die Wand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlen Haushofer
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Holzbank. Am Morgen unseres Aufbruchs war sie gar nicht nach Hause gekommen. Der Tag war mir von Anfang an verleidet. Ich könnte mir heute einreden, daß die Katze mich warnen wollte. Aber das wäre eine Lüge. Sie wollte nur nicht allein gelassen werden, und daran war gar nichts Geheimnisvolles. Niemand will ja verlassen werden, nicht einmal eine alte Katze.
    Es war ein herrlicher Frühsommertag, aber mir war schwer ums Herz. Abschied nehmen, und wäre es auch nur für kurze Zeit, ist mir immer unmäßig schwergefallen. Ich bin ein seßhafter Mensch, und Reisen hat mich immer unglücklich gemacht. Meine Gedanken waren noch im alten Jagdhaus, das jetzt versperrt und mit geschlossenen Fensterläden in der Morgensonne lag. Ein verlassenes Haus ist etwas sehr Trauriges. Ich befand mich auf dem Aufstieg in einem Zwischenreich und war nirgendwo daheim. Diesmal hatte ich keinen Zettel auf den Tisch gelegt, der Gedanke war mir gar nicht gekommen. Gegen Mittag erreichten wir die Alm, und ich wurde aus meinem Brüten gerissen. Luchs flog mit einem Jauchzer über die Wiese und auf die Hütte zu. Er erinnerte sich an den vergangenen Sommer und war schonwieder ganz und gar auf der Alm zu Hause. Ich ließ Bella und Stier auf der Weide und trat in die Hütte ein. Auch jetzt wich mein Unbehagen nicht, aber ich raffte mich auf und ging nach einer kurzen Rast an die Arbeit. Ich holte Fallholz aus dem Stall und wusch den Staub eines Jahres vom Boden auf. Immerzu mußte ich an Tiger denken, und als ich den Kasten öffnete, erwartete ich einen verwirrten Augenblick lang, den kleinen Kater zusammengerollt und schlafend vorzufinden. Die Knie wurden mir weich, und ich mußte mich festhalten, bis der kleine Schwächeanfall vorbeiging.
    Später setzte ich mich auf die Hausbank und starrte betäubt vor mich hin. Alles war noch da, das Regenfaß, der Hackstock und der Holzhaufen, als warteten sie auf unser altes Morgenspiel. Ich wußte, daß es so nicht weitergehen durfte, aber ich war nie dazu fähig gewesen, einen Kummer einfach abzuwürgen. Immer mußte ich warten, bis er reif und ausgetragen war und von mir abfiel. Aber ich konnte arbeiten. Ich ging auf die Fallholzsuche und schleppte den ganzen Nachmittag ein Bündel nach dem andern zur Hütte. Dort breitete ich es zum Trocknen in der Sonne aus. Die Decken und den Strohsack hatte ich schon mittags auf die Wiese gelegt. Sie waren nicht gerade feucht, rochen aber doch ein wenig modrig. Im Winter mußte hier der Schnee bis zum Dach die Hütte bedeckt haben. Diesmal hatte ich gleich mehr Erdäpfel mitgebracht und legte sie in der Kammer auf. Es bestand ja keine Aussicht, wieder irgendwo Mehl zu finden. Wenn es noch welches in einer der Hütten gab, war es längst verdorben oder von den Mäusen aufgefressen. Am dritten Tag schoß ich einen jungen Hirsch, verpackte das gesalzene Fleisch in Tongefäße, die ich zuband und in einer schattigen Mulde im Schnee vergrub. Noch immer fühlte ich mich bedrückt,aber Bella und Stier waren zufrieden. Manchmal unterbrachen sie das Grasen, trabten zur Hütte und steckten ihre großen Schädel zur Tür herein. Sie kamen nicht nur aus Zuneigung, sondern weil ich mir angewöhnt hatte, sie ein wenig Salz aus meiner Hand lecken zu lassen.
    Erst am fünften Tag ging ich mit Luchs zum Aussichtspunkt. Das Land war jetzt eine einzige blühende und grünende Wildnis. Ich konnte Felder und Wiesen kaum noch an der Farbe unterscheiden. Das Unkraut hatte überall den Sieg davongetragen. Schon im ersten Sommer waren die kleineren Straßen zugewachsen, jetzt sah ich auch von der breiten Asphaltstraße nur noch kleine dunkle Inseln. Die Samen hatten in den Frostaufbrüchen Fuß gefaßt. Bald würde es keine Straße mehr geben. Der Anblick der fernen Kirchtürme bewegte mich diesmal kaum noch. Ich wartete auf den vertrauten Ansturm von Kummer und Verzweiflung, aber er kam nicht. Es war mir, als lebte ich schon fünfzig Jahre im Wald, und die Türme waren nichts mehr für mich als Bauwerke aus Stein und Ziegel. Sie gingen mich nichts mehr an. Ich ertappte mich sogar bei dem Gedanken, daß Bella nur noch wenig Milch gab und es gut war, daß ich das Butterfaß im Tal gelassen hatte. Da stand ich auf und ging mit Luchs weiter in den Wald hinein. Ich war bestürzt über meine Kälte. Etwas hatte sich geändert, und ich mußte mich mit der neuen Wirklichkeit abfinden. Der Gedanke verursachte Unbehagen, aber ich konnte dem Unbehagen nur entrinnen, wenn ich mitten hindurch ging und

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