Die Wand
die Straße auf, verteilte den Schotter gleichmäßig und schlug ihn mit der Schaufel fest nieder. Der nächste Wolkenbruch würde neue Rinnen auswaschen, und ich würde sie wieder füllen und festschlagen. Ein Schubkarren fehlte mir sehr. Aber Hugo hatte nicht an Schubkarren gedacht. Er hatte ja auch nie damit gerechnet, eigenhändig Straßen ausbessern zu müssen. Ich glaube, am liebsten hätte er sich einen Bunker gekauft und wagte es nur nicht, weil ihm der Gedanke asozial erschien und er großen Wert darauf legte, nicht so zu erscheinen. So mußte er sich eben mit halben Maßnahmen begnügen, die eher eine Spielerei waren und seine Befürchtungen ein wenig beruhigen sollten. Sicher wußte er das ganz genau, denn er war ein durchaus real denkender Mensch, der seinen dunklen Ängsten manchmal ganz bewußt etwas zum Fraß vorwerfen mußte, um ungestört arbeiten und weiterleben zu können. Schubkarren, wie gesagt, schienen in seinen Träumereien vom Überleben nie aufgetaucht zu sein. Deshalb ist die Straße heute in einem sehr schlechten Zustand. Ich kratzenur immer das vorhandene Gestein auseinander, aber mit der Zeit wird immer weniger Schotter, und der nackte Fels kommt zum Vorschein. Dabei könnte ich die Straße mit Bachschotter gut wiederherstellen, es ist nur eine Frage der Beförderung. Ich könnte zwar einen Sack mit Schotter füllen und ihn auf Buchenzweigen auf die Straße schleppen. Vielleicht würden fünfzehn Säcke genügen; es läßt sich schwer abschätzen. Vielleicht hätte ich es vor einem Jahr noch auf mich genommen. Heute finde ich, es lohnt sich nicht. Selbst in einem trockenen Bachbett das Heu heimzuschleppen ist müheloser, als fünfzehn Sack Schotter auf die Straße zu ziehen.
Am sechsten September sah ich bei den Erdäpfeln nach und fand die Knollen noch zu klein und das Kraut noch grün. Ich mußte also meinen Hunger noch ein paar Wochen bezwingen; aber der Anblick der kleinen Knollen gab mir neue Hoffnung. Daß ich die Erdäpfel nicht verbraucht, sondern eingelegt hatte, war der Grundstein zu meiner heutigen relativen Sicherheit. Solange nicht eine Wetterkatastrophe meine Ernte vernichtet, werde ich nie verhungern müssen.
Die Bohnen waren auch schon fast reif und hatten sich, obgleich nicht alle aufgegangen waren, doch vervielfacht. Ich wollte den größten Teil als Samen zurücklegen. Meine Arbeit fing an, Früchte zu tragen, es war auch an der Zeit, denn nach dem Straßenausbessern fühlte ich mich sehr matt. Da es ein paar Tage regnete, stand ich nur zu den notwendigen Arbeiten auf und blieb die übrige Zeit im Bett. Ich schlief auch bei Tag, und je mehr ich schlief, desto müder wurde ich. Ich weiß nicht, was damals mit mir los war. Vielleicht fehlten mir wichtige Vitamine oder es war einfach Überarbeitung, die mich geschwächt hatte. Luchs gefiel das gar nicht. Immer wieder kam er zu mir und stieß mich mit derSchnauze an, und als das alles nicht helfen wollte, sprang er mit den Vorderpfoten auf das Bett und bellte so laut, daß an Schlafen nicht zu denken war. Damals haßte ich ihn einen Moment lang wie einen Sklaventreiber. Fluchend zog ich mich an, nahm das Gewehr und ging mit ihm weg. Es war ohnedies an der Zeit. Wir hatten kein Stückchen Fleisch im Haus, und ich hatte Luchs mit den letzten kostbaren Nudeln gefüttert. Es gelang mir, einen schwachen Bock zu schießen, und Luchs war wieder mit mir zufrieden. Ich heuchelte ein wenig Begeisterung, lud den Bock: auf meinen Nacken und ging heim. Ich schoß damals, nachdem ich es mir einmal gründlich überlegt hatte, fast nur schwache Böcke. Ich fürchtete, das Wild, nur noch in meinem Revier ein wenig dezimiert, würde überhandnehmen und in einigen Jahren in einem abgefressenen Wald wie in einer Falle sitzen. Um dieser künftigen Not ein wenig vorzubeugen, schoß ich nach Möglichkeit nur Böcke ab. Ich glaube nicht, daß ich mich damals irrte. Jetzt nach zweieinhalb Jahren schon spüre ich mehr Wild als früher. Wenn ich einmal von hier weggehe, werde ich das Loch unter der Wand so tief graben, daß dieser Wald nie zu einer Falle werden kann. Meine Rehe und Hirsche werden eine fette, unermeßliche Weide finden oder den plötzlichen Tod. Beides ist besser als die Gefangenschaft in einem kahlgefressenen Wald. Es rächt sich jetzt, daß alles Raubzeug längst ausgerottet worden ist und das Wild außer dem Menschen keinen natürlichen Feind mehr hat. Manchmal, wenn ich die Augen schließe, sehe ich den großen Auszug aus dem
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