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Die Wand

Titel: Die Wand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlen Haushofer
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hatten wir Mitte August; der kurze Bergsommer würde bald dahin sein. Es regnete noch zwei Tage, und das Gewitter murrte noch immer ganz leise in der Ferne. Am dritten Tag hingen weiße Nebel bisauf die Wiese herab. Kein Berg war zu sehen, und die Fichten sahen wie abgeschnitten aus. Ich trieb Bella wieder auf die Weide, denn das kühle feuchte Wetter schien ihr gutzutun. Ich reinigte die Hütte, nähte ein wenig und wartete auf besseres Wetter. Am fünften Tag nach dem Gewitter brach endlich die Sonne aus weißen Nebelschleiern hervor. Ich weiß es genau, weil es auf meinem Kalender vermerkt ist. Damals war ich noch ziemlich mitteilsam und machte häufig Notizen. Später werden sie spärlicher, und ich werde auf meine Erinnerung angewiesen sein.
    Nach dem großen Unwetter wurde es nicht mehr sehr warm. Die Sonne schien zwar, und mein Holz konnte trocknen, aber die Landschaft nahm plötzlich herbstlichen Charakter an. Der langstielige Enzian blühte auf den nassen Wänden der Schlucht, und im Schatten der Büsche wuchsen die Zyklamen. Manchmal blühen die Zyklamen im Gebirge schon im Juli, und das soll auf einen frühen Winter hindeuten. In der Zyklame vermischt sich das Rot des Sommers mit dem Blau des Herbstes zu einem rosigen Violett, und ihr Duft fängt noch einmal die ganze vergangene Süße ein; wenn man aber länger daran riecht, spürt man dahinter einen ganz anderen Geruch, den Geruch nach Verfall und Tod. Ich habe die Zyklame immer schon für eine sehr sonderbare und ein wenig beängstigende Blume gehalten.
    Da die Sonne wieder schien, stürzte ich mich auf die Holzarbeit. Das Zerhacken ging mir besser von der Hand als das Schneiden, und ich machte rasche Fortschritte. Ich wartete aber nicht wieder, bis ein Berg Holzscheiter den Boden bedeckte, sondern räumte jeden Abend das kleingehackte Holz unter die Veranda und stapelte es dort ordentlich auf. Ich wollte nicht wieder vom Regen überrascht werden.
    Ganz langsam gelang es mir, in alle meine Arbeiten System zu bringen, und das erleichterte mir das Leben ein wenig. Planlosigkeit war eigentlich nie einer meiner Fehler gewesen, nur war ich selten in die Lage gekommen, einen meiner Pläne auszuführen, weil sich mit tödlicher Sicherheit immer jemand oder etwas gefunden hatte, das meine Pläne zunichte machte. Hier im Wald konnte niemand meine Pläne durchkreuzen. Wenn ich versagte, war es meine eigene Schuld, und ich konnte nur mich dafür verantwortlich machen.
    Ich arbeitete bis Ende August mit dem Holz. Meine Hände gewöhnten sich schließlich daran. Sie staken immer voll Splitter, die ich jeden Abend mit der Pinzette entfernte. Früher hatte ich mit dieser Pinzette meine Brauen gezupft. Jetzt ließ ich sie wachsen, und sie wurden dicht und viel dunkler als mein Haar und gaben mir einen düsteren Blick. Aber das kümmerte mich nicht, ich war vollauf damit beschäftigt, meine Hände jeden Abend in Ordnung zu bringen. Ich hatte großes Glück, niemals fing ein Splitter zu eitern an, ja es bildeten sich nur selten kleine Entzündungen, die über Nacht mit Jod behandelt wurden und zurückgingen.
    Eigentlich kam ich durch die Holzarbeit um einen sehr schönen Spätsommer. Ich sah die Landschaft gar nicht, besessen von dem Gedanken, genügend Holzvorrat aufzustapeln. Als das letzte Scheit unter der Veranda untergebracht war, streckte ich meinen Rücken und beschloß, mich ein wenig zu pflegen. Eigentlich ist es sonderbar, wie gering meine Freude über eine erledigte Arbeit jedesmal ist. Sobald sie getan ist, vergesse ich sie und denke an neue Aufgaben. Auch damals wurde aus der Erholungspause nicht viel. So war es immer. Während ich mich plagte, träumte ich davon, wie ich still und friedlich auf der Bank rasten würde. Sobaldich aber endlich auf der Bank saß, wurde ich unruhig und hielt Ausschau nach neuer Arbeit. Ich glaube nicht, daß das einem besonderen Fleiß entsprang, ich bin von Natur aus eher träge, wahrscheinlich war es Selbstschutz, denn was hätte ich in der Ruhe anderes getan als mich erinnert und gegrübelt. Genau das sollte ich nicht tun, was blieb mir also übrig, als weiterzuarbeiten? Arbeit mußte ich mir nicht erst suchen, sie bot sich aufdringlich genug von selber an.
    Nachdem ich zwei Tage im Haus vertrödelt, meine Wäsche gewaschen und genäht hatte, ging ich daran, die Straße in Ordnung zu bringen. Mit Krampen und Schaufel zog ich in die Schlucht. Ich konnte ja ohne Schubkarren sehr wenig unternehmen. So schlug ich mit dem Krampen

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