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Die Wand

Titel: Die Wand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlen Haushofer
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unerklärlich, aber ich vernahm im Heulen des Windes deutlich den hellen Ton einer – fernen Glocke. Wenn er nicht in meinem Kopf war, mußte er von den Glocken im Dorf stammen. Da es keinen Menschen mehr gab, läutete der Sturm dieGlocke. Es war ein gespenstischer Laut, etwas, was ich gar nicht hören konnte und doch hörte. Ich habe noch mehrere Gewitter im Wald erlebt, aber die Glocke habe ich nie mehr gehört. Vielleicht hat der Sturm das Seil zerrissen, oder das Läuten war eine Täuschung meiner lärmgepeinigten Ohren. Endlich erstarb der Wind und mit ihm das geisterhafte Gebimmel. Dann gab es einen Laut, als hätte jemand ein riesiges Stück Stoff zerrissen, und das Wasser stürzte vom Himmel.
    Ich ging zur Tür und öffnete sie weit. Der Regen peitschte mir ins Gesicht und wusch die Furcht und Schläfrigkeit von mir ab. Ich konnte wieder atmen. Die Luft schmeckte frisch und kühl und prickelte in den Lungen. Luchs kam aus seiner Höhle und witterte neugierig ins Freie. Dann bellte er freudig auf, schüttelte seine langen Ohren und schritt gemessen zurück zu seiner weißen Freundin, die, zusammengerollt, friedlich eingeschlafen war. Ich nahm einen Mantel um und lief mit der Taschenlampe durch die nasse Schwärze in den Stall. Bella hatte sich losgerissen und stand mit dem Schädel zur Tür. Sie brüllte klagend und drängte sich an mich. Ich tätschelte ihre Flanken, die angstvoll auf und nieder gingen, und sie ließ sich willig umdrehen und wieder an der Bettstatt festbinden. Dann öffnete ich das Fenster. Es konnte hier kaum hereinregnen, die Fichten schützten die Rückseite des Daches. Bella hatte nach den Schrecken dieser Nacht Luft und Kühlung verdient. Dann ging ich ins Haus zurück, und endlich, endlich, fand ich, ich dürfte mich auch beruhigt niederlegen. Die Katze kroch unter dem Bett hervor und kam zu mir, und in wenigen Minuten war ich fest eingeschlafen. Ich träumte von einem Gewitter und erwachte von einem Donnerschlag. Es war kein Traum. Das alte Unwetterwar zurückgekommen oder ein neues in den Kessel eingefallen. Es regnete heftig, und ich stand auf, um das Fenster zu schließen und eine Wasserlache vom Boden aufzuwischen. Es war erfrischend kühl im Zimmer. Ich legte mich wieder hin und schlief sofort weiter. Immer wieder erwachte ich von einem Donnerschlag, und immer wieder schlief ich ein. Es war ein ständiges Hin und Her von echten und Traumgewittern, und gegen Morgen war ich so weit, daß mich alle Gewitter kaltließen. Ich zog mir die Decke über den Kopf und schlief endlich tief und ungestört.
    Ich erwachte von einem dumpfen Poltern, einem Laut, den ich noch nie gehört hatte und der mich sofort hellwach werden ließ. Es war acht Uhr früh, ich hatte mich verschlafen. Zunächst ließ ich den ungeduldigen Luchs ins Freie und sah nach, was da so laut poltern, scharren und schleifen mochte. Vor der Hütte war nichts zu sehen. Der Sturm hatte die Büsche zerzaust und einige Zweige geknickt, und große Lachen standen auf dem Weg zum Stall. Ich zog mich an, nahm den Melkeimer und ging zu Bella. Im Stall war alles in Ordnung. Das Poltern kam vom Bach her. Ich ging ein Stück den Abhang hinunter und sah eine gelbe Flut sich dahinwälzen, entwurzelte Bäume, Rasenstücke und Steinblöcke mit sich reißend. Sofort dachte ich an die Schlucht. Das Wasser mußte sich an der Wand stauen und die Bachwiese überschwemmen. Ich beschloß, so bald wie möglich nachzusehen. Zunächst mußte ich aber wie jeden Tag die anfallende Arbeit verrichten. Ich ließ Bella aus dem Stall. Es war kühl und regnete ganz leicht, und die Bremsen und Fliegen würden sie in Ruhe lassen. Auf der Waldwiese war eine große Eiche gestanden. Sie hatte von früher her ein Blitzmal getragen. Endlich hatte der Blitz doch sein Opfer gefunden. Diesmal war es nicht beieinem Mal geblieben, die alte Eiche war völlig zersplittert. Es tat mir leid um sie. Es gab hier ganz selten einmal eine Eiche. Als ich zum Haus zurückging, vernahm ich fernes Murren. Das Gewitter schien noch immer im Gebirge zu hängen. Vielleicht wanderte es von Kessel zu Kessel, immer im Kreis herum, genau wie der Jäger es geschildert hatte.
    Nach dem Mittagessen ging ich mit Luchs in die Schlucht. Die Straße konnte dort nicht überschwemmt werden, weil sie zu hoch lag, aber das Wasser war nach der andern Seite hin ausgewichen und hatte Bäume, Sträucher, Gestein und Erdklumpen mit sich gerissen. Mein freundlicher grüner Bach hatte sich in ein gelbbraunes

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