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Die Wand

Titel: Die Wand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlen Haushofer
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Ungetüm verwandelt. Ich wagte kaum hinzusehen. Ein falscher Tritt auf dem rutschigen Stein, und alle meine Sorgen hätten ein Ende im eisigen Wasser gefunden. Wie ich es mir gedacht hatte, konnte das Wasser an der Wand nicht rasch genug abfließen. Ein kleiner See hatte sich gebildet, auf dessen Grund die Gräser der Bachwiese langsam hin und her fluteten. An der Wand lag ein Berg von Bäumen, Sträuchern und Steinen zu einer Pyramide aufgestapelt. Die Wand war also nicht nur unsichtbar, sondern auch unzerbrechlich, denn die Wucht, mit der die Baumstämme und Steine sie getroffen hatten, mußte unvorstellbar gewesen sein. Der See war allerdings nicht so groß wie ich befürchtet hatte, und würde sicherlich in wenigen Tagen ganz abfließen. Ich konnte über die angeschwemmten Massen hinweg nicht sehen, wie es drüben aussah, wahrscheinlich wälzten sich dort die gelben Fluten ein wenig ruhiger weiter. Die Flüsse würden anschwellen, Häuser und Brücken mitreißen, Fenster und Türen eindrücken und die leblosen steinernen Dinge, die einmal Menschen gewesen waren, aus ihren Betten und Stühlen holen. Und auf den großenSandbänken würden sie zurückbleiben und in der Sonne trocknen, Steinmenschen, Steintiere und dazwischen Geröll und Felsbrocken, die nie etwas anderes gewesen waren als Stein.
    Ich sah dies alles sehr deutlich vor mir, und es wurde mir ein bißchen übel davon. Luchs stieß mich mit der Schnauze an und drängte mich zur Seite. Vielleicht gefiel ihm das Hochwasser nicht, vielleicht spürte er auch, daß ich sehr weit weg war von ihm, und wollte sich bemerkbar machen. Wie immer bei solchen Gelegenheiten folgte ich ihm schließlich. Er wußte viel besser als ich, was gut für mich war. Den ganzen Rückweg ging er eng an meiner Seite, mich mit der Flanke gegen die Felswand drängend, weg von dem polternden, scharrenden Ungetüm, das mich hätte verschlingen können. Endlich mußte ich lachen über seine Besorgtheit, und er sprang mir mit nassen Pfoten gegen die Brust und bellte herausfordernd laut und fröhlich. Luchs hätte einen starken, heiteren Herrn verdient. Ich war seiner Lebenslust oft nicht gewachsen und mußte mich dazu zwingen, fröhlich zu scheinen, um ihn nicht zu enttäuschen. Aber wenn ich ihm auch kein sehr munteres Leben bereiten konnte, muß er wenigstens gespürt haben, wie sehr ich an ihm hing und daß ich ihn notwendig brauchte. Luchs war ja ausgesprochen freundlich, liebebedürftig und den Menschen zugetan. Der Jäger muß ein guter Mensch gewesen sein; ich habe nie eine Spur von Bösartigkeit oder Verschlagenheit an Luchs entdeckt.
    Als wir zum Jagdhaus kamen, waren wir beide tropfnaß. Ich heizte ein und hängte meine Kleider zum Trocknen auf die Stange, die zu diesem Zweck über dem Herd angebracht ist. Die Schuhe stopfte ich mit der zu kleinen Bällchen gerollten Autofahrschule aus und stellte sie zum Trocknen auf zwei Holzscheite.
    Inzwischen dauerte das Gemurre in den Wolken an, kam einmal von rechts, einmal von links. Es klang zornig und ein wenig enttäuscht und hielt den ganzen Tag über an. Alles in allem hatte ich wenig Schaden von dem Gewitter. Meine Forellen waren wohl zum Teil zugrunde gegangen, und das war der schlimmste Verlust, der mich durch das Gewitter getroffen hatte. Aber mit der Zeit würden auch sie sich wieder erholen und vermehren. Auf dem Dach hingen ein paar Schindeln lose, und diesen Schaden mußte ich möglichst bald ausbessern. Es graute mir ein wenig davor, denn ich bin nicht schwindelfrei, aber schwindelfrei oder nicht, ich mußte einfach hinauf aufs Dach und es ausbessern.
    Auf dem freien Platz vor der Hütte hatte ich eine Menge geschnittenes Holz aufgestapelt gehabt, das ich erst kleinhacken wollte. Die Himbeerernte und meine Genäschigkeit hatten mich diese wichtige Arbeit unterbrechen lassen. Jetzt war das Holz triefend naß, und ich mußte warten, bis es in der Sonne trocknen konnte. Der Regen hatte das Sägemehl in kleinen Bächen auf die Straße geschwemmt, drei schmale gelbrote Streifen, die sich langsam im Schotter verloren. Die Straße durch die Schlucht war auch ausgewaschen, aber nicht so schlimm, wie ich befürchtet hatte. Bei Gelegenheit mußte ich sie in Ordnung bringen. So vieles gab es, was ich tun sollte, Holz hacken, Erdäpfel ernten, Acker umstechen, Heu aus der Schlucht holen, die Straße richten und das Dach ausbessern. Kaum hoffte ich, mich ein wenig ausruhen zu dürfen, lag schon wieder eine neue Arbeit vor mir.
    Schon

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