Die Wand
streichelnde Menschenhand und geliebte herrliche Menschenstimme. Nie wieder werde ich die Almwiese im flirrenden Sonnenlicht sehen, nie mehr ihren Duft atmen. Die Alm ist für mich verloren, ich werde sie nie mehr betreten.
Nachdem ich die Ausflüge in fremde Reviere aufgegeben hatte, verfiel ich ganz langsam in eine Art Lähmung. Ich hörte auf, mir Sorgen zu machen, und neigte dazu, auf der Bank vor der Hütte zu sitzen und einfach in die blaue Luft zu schauen. Aller Fleiß und alle Tüchtigkeit fielen von mir ab und wichen einer friedlichen Trägheit. Ich wußte wohl, daß dieser Zustand gefährlich werden konnte, aber auch das machte mir nicht viel aus. Es störte mich nicht länger, daß ich wie in einer primitiven Sommerfrische hausen mußte; die Sonne, der weite hohe Himmel über der Wiese und der Duft, der von ihr aufstieg, verwandelten mich langsam in eine fremde Frau. Wahrscheinlich machte ich auch keine Aufzeichnungen darüber, weil mir alles ein wenig unwirklich erschien. Die Alm lag außerhalb der Zeit. Wenn ich später, während der Heuernte, aus der Unterwelt der feuchten Schlucht zurückkehrte, schien mir dies die Rückkehr in ein Land, das auf geheimnisvolle Weise mich von mir selbst erlöste. Alle Befürchtungen und Erinnerungen blieben zurück unter den dunklen Fichten, um mich bei jedem Abstieg erneut zu überfallen. Es war, als strömte die große Wiese ein sanftes Betäubungsmittel aus, das Vergessen hieß.
Nachdem ich drei Wochen auf der Alm gelebt hatte, raffte ich mich dazu auf, einmal den Erdapfelacker zubesuchen. Es war nach einer langen Schönwetterzeit der erste kühle, trübe Tag. Ich ließ Bella und Stier bei Grünfutter und Wasser im Stall und sperrte Tiger in der Hütte ein. Sein Kistchen hatte ich ihm vorsorglich mit Erde gefüllt und ihm Fleisch und Milch zurückgelassen. Luchs ging, wie immer, mit mir. Gegen neun Uhr früh erreichte ich das Jagdhaus. Ich weiß nicht, was ich erhofft oder befürchtet hatte. Es war alles ganz unverändert. Die Nesseln waren gewachsen und schlugen über dem Misthaufen zusammen. Als ich das Haus betrat, sah ich sofort die vertraute kleine Mulde auf dem Bett. Ich ging rund um das Haus und rief die Katze, aber sie kam nicht. Ich war auch nicht sicher, ob der Abdruck nicht schon vom Mai stammte. So strich ich das Bett sorgfältig glatt und legte ein wenig Fleisch in die Katzenschüssel. Luchs beschnüffelte den Boden und den Katzenausgang. Es mochten aber auch alte Duftspuren sein, die er verfolgte. Ich öffnete alle Fenster, auch in der Vorratskammer, und ließ die frische Luft durch das Haus streichen. Auch im Stall tat ich dasselbe. Dann besichtigte ich den Acker. Die Erdäpfel waren schön aufgegangen, und die ohne Dünger eingelegten standen wirklich ein wenig niedriger und nicht so dunkelgrün. Der Acker war durch die lange Trockenheit nicht sehr verunkrautet, und ich beschloß, mit dem Jäten auf einen Regen zu warten. Auch die Bohnen wanden sich schon an den Stöcken hinauf. Das Gras auf der Bachwiese stand nicht so üppig wie im Vorjahr, es hätte dringend Regen gebraucht. Aber bis zur Ernte war ja noch einige Wochen Zeit, und es mochte sich nach einem Regen schnell erholen. Während ich die große, steile Wiese betrachtete, wurde ich ganz mutlos. Es war nicht auszudenken, daß ich damit fertig werden sollte; noch dazu nach einem langen Anmarsch. Sie hatte mich im vergangenen Jahr ohne weiten Weg schon fastumgebracht. Ich konnte nicht begreifen, wieso ich auf der Alm nicht einmal daran gedacht hatte. Es war sonderbar: sobald ich im Tal war, dachte ich an die Alm fast mit Furcht oder Widerwillen, auf der Alm aber konnte ich mir nicht vorstellen, wie man im Tal leben konnte. Es war, als bestünde ich aus zwei ganz verschiedenen Menschen, von denen der eine nur im Tal leben konnte und der andere anfing, auf der Alm aufzublühen. Dies alles ängstigte mich ein wenig, weil ich es nicht verstehen konnte.
Ich sah durch die Wand. Das Häuschen lag ganz von Sträuchern verdeckt. Den alten Mann konnte ich nicht sehen, er mußte hinter einer Mauer aus Nesseln liegen, die den Brunnen verdeckte. Die Welt, so schien es mir, wurde langsam von Nesseln verschlungen. Der Bach war durch die Trockenheit ganz klein geworden. Ein paar Forellen standen in den Tümpeln und bewegten sich kaum. In diesem Sommer hatten sie Schonzeit und mochten sich erholen.
Die Schlucht war düster und feucht wie immer; nichts hatte sich geändert. Es nieselte ein wenig, und zarter
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