Die Wand
mißtrauisch, um ein fremdes Stück Fleisch anzunehmen.
Die Erdäpfel blühten weißviolett und waren nach dem Regen stark gewachsen. Das Unkraut ließ sich leicht aus der lockeren Erde ziehen. Ich häufte die Erde um die Stauden ein wenig an, und so wurde es drei Uhr, ehe ich zum Jagdhaus zurückkam, Tee kochte und für mich und Luchs ein Essen bereitete. Erst gegen sieben Uhr erreichte ich die Alm und mußte noch Bella und Stier versorgen. Tiger hatte wieder sein Kistchen und sein Fressen nicht angerührt und floh wütend ins Freie. Ich sah, daß es grausam war, ihn einzusperren. Er würde nie eine Stubenkatze werden. In Zukunft wollte ich ihm das Kammerfenster offenstehen lassen. Vielleicht würde er beruhigt zu Hause bleiben, wenn er merkte, daß er frei war, zu gehen und zu kommen, wie es ihm gefiel. Bella und Stier aber mußten immer in den Stall, wenn ich einen Tag ausblieb. Ich fürchtete, sie könnten denStrick zerreißen, wenn irgend etwas sie erschreckte, und über die Schutthalde am Rand der Wiese abstürzen. Nachdem ich die Stallarbeit getan hatte und Tigers stummer Trotz in versöhnliche Stimmung übergegangen war, konnte ich mich endlich hinlegen.
Die Nächte auf der Alm waren immer zu kurz. Ich träumte nicht. Die kühle Nachtluft strich über mein Gesicht, alles schien leicht und frei, und die Nächte waren nie ganz dunkel. Da es lange hell blieb, ging ich später zu Bett als im Tal. Ich saß an jedem schönen Abend auf der Bank vor dem Haus in meinen Lodenmantel gehüllt und sah, wie die Abendröte den westlichen Himmel überzog. Später sah ich den Mond aufgehen und die Sterne am Himmel aufblitzen. Luchs lag neben mir auf der Bank, Tiger huschte, ein kleiner grauer Schatten, von Grasbüschel zu Grasbüschel hinter den Nachtfaltern her, und wenn er müde wurde, rollte er sich unter dem Umhang auf meinen Knien zusammen und fing an zu brummen. Ich dachte nicht, ich erinnerte mich nicht, und ich fürchtete mich nicht. Ich saß nur ganz still an die Holzwand gelehnt, müde und wach zugleich, und sah in den Himmel. Ich lernte alle Sterne kennen; wenn ich auch ihre Namen nicht wußte, wurden sie mir doch bald vertraut. Ich kannte nur den Großen Wagen und die Venus. Alle anderen blieben namenlos, die roten, grünen, bläulichen und gelben. Wenn ich die Augen zu einem Spalt schloß, sah ich die unendlichen Abgründe, die sich zwischen den Sternenhaufen auftaten. Riesige schwarze Höhlen hinter geballten Lichtnebeln. Manchmal benützte ich das Glas, aber lieber sah ich in den Himmel mit freiem Auge. Ich konnte so das Ganze überblicken, der Blick durch das Glas war eher verwirrend. Die Nacht, die ich immer gefürchtet und der ich oft mit Festbeleuchtung getrotzt hatte, verlor aufder Alm ihre Schrecken. Ich hatte sie ja nie zuvor wirklich gekannt, eingesperrt in steinernen Häusern hinter Rolläden und Vorhängen. Die Nacht war gar nicht finster. Sie war schön, und ich fing an, sie zu lieben. Selbst wenn es regnete und eine Wolkendecke den Himmel verhüllte, wußte ich, daß die Sterne da waren, die roten, grünen, gelben und blauen. Immer waren sie ja da, auch bei Tag, wenn ich sie nicht sehen konnte.
Wenn es kalt wurde und der Tau fiel, ging ich endlich in die Hütte. Luchs folgte mir schläfrig, und Tiger stelzte zu seinem Lager im Kasten. Ich drehte mich mit dem Rücken zur Wand und schlief ein. Zum erstenmal in meinem Leben war ich besänftigt, nicht zufrieden oder glücklich, aber besänftigt. Es hatte etwas mit den Sternen zu tun und damit, daß ich endlich wußte, daß sie wirklich waren, aber warum das so war, könnte ich nicht erklären. Es war eben so.
Es war, als hätte eine große Hand die Uhr in meinem Kopf stillstehen lassen. Und gleich darauf war es Morgen, Tiger ging auf mir spazieren, das Frühlicht fiel auf mein Gesicht, und weiter weg, im Wald, schrie ein Vogel. Anfangs hatte ich das verschlafene Vogelkonzert vermißt, das mich im Tal geweckt hatte. Auf der Alm sangen und zwitscherten die Vögel nicht, sie kannten nur den hellen, harten Schrei.
Ich war wach und lief barfuß in den anbrechenden Tag hinaus. Die Wiese lag ganz still, bedeckt von durchsichtigen Tropfen, die später, wenn die Sonne über den Wald stieg, in Regenbogenfarben aufglänzten. Ich ging in den Stall, um Bella zu melken und sie und Stier auf die Wiese zu lassen. Bella war schon wach und erwartete mich. Ihr Sohn, der Langschläfer, lag noch, mit gesenktem Schädel, die Stirnhaare zu schlaf feuchten Locken gedreht.
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