Die Wand
Schatten auf den anbrechenden Sommertag. Ich konnte nichts dagegen tun, und so ging ich wie jeden Tag an meine Arbeit. Ich molk Bella und trieb sie und den Stier auf die Wiese. Tiger unternahm keinerlei Anstalten wegzulaufen, er war noch jung und anpassungsfähig, vielleicht fühlte er sich auch noch nicht stark genug, um sich auf eigene Füße zu stellen.
An jenem Morgen ertränkte ich meinen Kummer in Tee (ich erinnere mich gern an die Zeit, da ich noch Teebesaß). Sein Duft heiterte mich auf, und ich fing an, mir einzureden, die alte Katze werde in der Jagdhütte übersommern und mich im Herbst bei meiner Heimkehr freudig begrüßen. Warum sollte das nicht möglich sein? Sie war ja ein gerissenes Frauenzimmer und mit allen Gefahren vertraut. Ich saß eine Zeitlang ganz ruhig an dem schmutzigen Tisch und sah durch das kleine Fenster, wie der Himmel sich rot färbte. Luchs besichtigte die Umgebung, Tiger war mitten im Spiel zusammengebrochen und hatte sich in den Kasten geschleppt, zu einem ausgedehnten Schläfchen. In der Hütte war es ganz still. Etwas Neues fing an. Ich wußte nicht, was es mir bringen würde, aber mein Heimweh und die Sorge um die Zukunft wichen langsam von mir. Ich sah die Fläche der Almmatten, dahinter einen Streifen Wald und darüber den großen gewölbten Himmelsbogen, an dessen westlichem Rand der Mond als blasser Kreis hing, während im Osten die Sonne emporstieg. Die Luft war scharf und zwang zu tieferem Atmen. Ich fing an, die Alm schön zu finden, fremd und gefährlich, aber wie alles Fremde voll heimlicher Lockung.
Schließlich riß ich mich von dem betörenden Anblick los und ging daran, die Hütte zu reinigen. Ich heizte den Herd, um heißes Wasser zu bekommen, und rieb dann den Tisch, die Bank und den Fußboden mit Sand und einer alten Bürste, die ich in der Kammer gefunden hatte. Ich mußte den Vorgang zweimal wiederholen, und ganze Ströme von Wasser flössen zu diesem Zweck. Nachher war die Hütte noch immer nicht besonders wohnlich, aber wenigstens sauber. Stellenweise mußte ich den Schmutz mit einem Messer abkratzen. Ich glaube nicht, daß der Boden je zuvor mit Wasser in Berührung gekommen war, zumindest nicht zu Zeiten des Pin-up-Girls verehrenden Sennen. Ich ließ übrigens das Bild amKasten hängen. Mit der Zeit gefiel es mir sogar recht gut. Es erinnerte mich ein wenig an meine Töchter. Die Hütte zu reinigen war eine Arbeit, die mir gefiel. Ich ließ Tür und Fenster offenstehen und die reine Luft durch die Hütte ziehen. Als der Boden im Lauf des Vormittags trocknete, fing er an, rötlich zu schimmern, und ich war stolz auf diesen Erfolg. Den Strohsack hatte ich auf die Wiese gelegt, und Luchs benützte ihn sofort als Lager. Als ich ihn von dort vertrieb, zog er sich verstimmt hinter die Hütte zurück. Er verabscheute häusliche Reinigungsarbeiten, weil ich ihm verboten hatte, auf dem nassen Boden umherzusteigen. Nach dem Wasser- und Luftbad verlor die Hütte ihren säuerlichen Geruch, und ich fing an, mich ein wenig wohler zu fühlen. Mittags gab es Milch und Erdäpfel, und es wurde mir klar, daß ich Luchs' wegen möglichst bald für Fleisch sorgen mußte. Ich beschloß, da es getan werden mußte, es möglichst bald zu tun, besonders, da mir die Gegend noch fremd war und ich nicht gleich mit Erfolg rechnen durfte. Es gelang mir auch erst am übernächsten Tag, nach vier vergeblichen Pirschgängen, einen jungen Hirsch zu schießen, und ein sehr unangenehmes Problem tauchte auf. Ich hatte hier keine Quelle, in der ich das Fleisch kühlen konnte, und so mußte ich die verderblichen Teile rasch verbrauchen und den Rest gekocht oder gebraten in der kühlen Kammer aufbewahren. Das führte dazu, daß wir den ganzen Sommer hindurch abwechselnd sehr magere und sehr fette Zeiten erlebten und ich jedesmal gezwungen war, einen Teil des Fleisches, weil es verdorben war, wegzuwerfen. Ich setzte es weitab von der Hütte im Wald aus, und es verschwand regelmäßig über Nacht. Irgendein wildes Tier muß diesen Sommer sehr genossen haben. Mit der Ernährung war es überhaupt nicht gut bestellt, da ich nur noch sehr wenig Erdäpfel hatte; aberwirklich hungern mußten wir nie. Solange ich auf der Alm war, machte ich keine Notizen. Ich hatte den Kalender zwar mitgenommen und strich pflichtschuldig jeden Tag ab, aber ich trug nicht einmal so wichtige Ereignisse wie die Heuernte ein. Die Erinnerung an diese Zeit ist aber frisch geblieben, und es fällt mir nicht schwer, darüber zu
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