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Die Wand

Titel: Die Wand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlen Haushofer
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Sack Mehl, das wunderbarerweise trocken geblieben war. Die Hütte, in der ich es fand, lag auf einer sehr sonnigen Lichtung, außerdem war das Mehl in einen Kasten*eingesperrt gewesen. Ferner fand ich ein Päckchen Tee, Landtabak, eine Flasche Spiritus, alte Zeitungen und eine verschimmelte, madenzerfressene Speckseite, die ich zurückließ. Alle Hütten waren von Büschen und Brennesseln umwuchert, und bei einigen hatte es durch das Dach geregnet, und sie befanden sich in schlechtem Zustand.
    Das ganze Unternehmen hatte etwas Gespenstisches. In den Strohsäcken, auf denen noch vor einem JahrMänner geschlafen hatten, raschelten die Mäuse. Sie waren jetzt die Herren der alten Hütten. Alle Vorräte, die nicht versperrt gehalten waren, hatten sie zernagt und aufgefressen. Ja, sogar alte Mäntel und Schuhe hatten sie angefressen. Und es roch nach Mäusen; ein unangenehmer scharfer Geruch, der jede Hütte erfüllte und den alten, vertrauten Geruch nach Rauch, verschwitzten Männern und Speck vertrieben hatte. Selbst Luchs, der die Entdeckungsreisen mit großem Eifer angetreten hatte, schien bedrückt, sobald wir eine Hütte betraten, und beeilte sich, wieder ins Freie zu kommen. Ich konnte mich nicht dazu überwinden, in einer der Hütten zu essen, und so hielten wir unsere bescheidenen kalten Mahlzeiten auf irgendeinem Baumstamm, und Luchs trank aus den Bächen, die immer in der Nähe der Hütten flössen. Sehr bald hatte ich genug davon. Ich wußte, ich würde nie etwas anderes finden als Brennesselwildnis, Mäusegeruch und traurige, kalte Feuerstellen. Das Mehl, diesen kostbaren Fund, breitete ich an einem heißen, windstillen Tag auf einem Tuch in der Sonne aus. Es war zwar nicht feucht, aber mir schien, daß auch ihm ein wenig Mäusegeruch anhaftete. Nachdem es einen Tag lang in der Sonne und in der Luft gelegen hatte, fand ich es genießbar. Dieses Mehl half mir, die Zeit bis zur nächsten Erdapfelernte zu überstehen. Ich buk daraus mit Milch und Butter dünne Fladen auf einer eisernen Pfanne, das erste Brot nach einem Jahr. Es war ein Festtag; auch Luchs schien sich bei den aufsteigenden Düften vergangener Genüsse zu erinnern, und ich konnte ihn natürlich nicht leer ausgehen lassen.
    Einmal, als ich auf dem Aussichtsplatz saß, glaubte ich in weiter Ferne Rauch aus den Fichten aufsteigen zu sehen. Ich mußte das Glas absetzen, weil meine Hände zu zittern anfingen. Als ich mich gefaßt hatte und wiederhinsah, war nichts mehr zu sehen. Ich starrte durch das Glas, bis meine Augen in Wasser schwammen und alles zu einem grünen Fleck zerfloß. Ich wartete eine Stunde lang und ging auch in den nächsten Tagen hin, aber den Rauch sah ich nie wieder. Entweder hatte ich mir selber etwas vorgezaubert, oder der Wind, es war ein föhniger Tag, hatte den Rauch niedergeschlagen. Ich werde es nie wissen. Schließlich ging ich mit Kopfschmerzen nach Hause. Luchs, der den ganzen Nachmittag neben mir ausgeharrt hatte, mußte mich für eine langweilige Närrin halten. Er mochte den Aussichtsplatz überhaupt nicht und versuchte immer, mich zu anderen Gängen zu überreden. Ich sage überreden, weil ich kein besseres Wort finde für das, was er tat. Er stellte sich vor mich und drängte mich in eine andere Richtung oder lief lockend ein paar Schritte voraus und sah sich auffordernd nach mir um. Das wiederholte er, bis ich nachgab oder er einsah, daß ich unbelehrbar war. Wahrscheinlich mochte er den Aussichtspunkt nicht, weil er dort still sitzen mußte und ich mich nicht um ihn kümmerte. Es ist auch möglich, daß er merkte, wie mich das Schauen durch das Glas in trübe Stimmung versetzte. Manchmal fühlte er meine Stimmung schon, ehe sie mir selber bewußt wurde. Ihm würde es sicher nicht gefallen, mich jeden Tag zu Hause sitzen zu sehen, aber sein kleiner Schatten hat nicht mehr die Kraft, mich auf andere Wege zu drängen.
    Luchs liegt auf der Alm begraben. Unter dem Busch mit den dunkelgrünen Blättern, die einen zarten Duft ausströmten, wenn ich sie zwischen den Fingern zerrieb. Genau an dem Platz, an dem er bei unserer Ankunft auf der Alm sein erstes Schläfchen hielt. Selbst wenn er keine andere Wahl hatte, mehr als sein Leben konnte er nicht für mich einsetzen. Es war ja alles, was er besaß, einkurzes, glückliches Hundeleben: tausend erregende Gerüche, Sonnenwärme auf dem Fell, kaltes Quellwasser auf der Zunge, die hechelnde Jagd nach dem Wild, Schlaf im warmen Ofenloch, wenn der Winterwind um die Hütte fuhr,

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