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Die Wand

Titel: Die Wand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlen Haushofer
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meiner Vorstellung die Alm in Nichts auf. Und waren meine Ängste wirklich so närrisch? War die Wand nicht eine Bestätigung meiner kindlichen Furcht? Über Nacht war mir mein früheres Leben, alles, woran ich hing, auf unheimliche Weise gestohlen worden. Alles konnte geschehen, wenn dies möglich gewesen war. Immerhin hatte man mir beizeiten so viel Vernunft und Disziplin beigebracht, daß ich jede derartige Anwandlung schon im Keim bekämpfte. Ich weiß aber nicht einmal, ob dieses Verhalten normal ist; vielleicht wäre die einzig normale Reaktion auf alles, was geschehen ist, der Wahnsinn.
    Es folgten ein paar regnerische Tage. Bella und Stier standen auf der Wiese, mit zarten grauen Tröpfchen besät, grasend oder beieinander ruhend. Luchs und Tiger verschliefen die Tage, und ich zersägte im Stall das Fallholz. Ich mußte in der Hütte heizen. Ich kann eher auf Essen verzichten als auf Wärme, und Fallholz gab es ja genug. Die Winterstürme hatten die Äste von den Bäumen gerissen und kleine Bäumchen samt dem Wurzelstock umgelegt. Die Säge war schon hier gewesen, sie schnitt recht schlecht, aber Fallholz läßt sich leicht zerkleinern, und ich mußte mich nicht sehr anstrengen. Ich trug das Holz in die Hütte und stapelte es in der kleinen Kammer auf. Es tat mir leid, daß Bella und Stier keine Streu hatten, aber es gab in dieser Höhe keinen Laubwald mehr. Der Stall war aber sauber und trocken, und sie brauchten nicht zu frieren. Das Butterfaß, das ich mühsam zu Tal geschleppt hatte, hatte ich noch mühsamer wieder heraufschleppen müssen. Ich konnte nicht darauf verzichten. Bella gab so viel Milch, daß ich mir den Sommer über einen Vorrat an Butterschmalz anlegen wollte. Ihre Milch wurde auf der Alm besonderswohlschmeckend; auch Tiger schien das zu finden und mästete sich ein Bäuchlein an.
    Wenn ich Bella striegelte, erzählte ich ihr manchmal, wie wichtig sie für uns alle war. Sie sah mich sanft aus feuchten Augen an und versuchte, mir das Gesicht abzuschlecken. Sie hatte keine Ahnung, wie kostbar und unersetzlich sie war. Hier stand sie, bräunlich glänzend, warm und gelassen, unsere große sanfte Nährmutter. Ich konnte es ihr nur mit guter Pflege danken, und ich hoffe, ich habe für Bella alles getan, was ein Mensch für seine einzige Kuh tun kann. Sie hatte es gern, wenn ich zu ihr sprach. Vielleicht hätte sie die Stimme eines jeden Menschen geliebt. Es wäre ein leichtes für sie gewesen, mich zu zerstampfen und aufzuspießen, aber sie schleckte mir das Gesicht ab und drückte die Nüstern in meine Handfläche. Ich hoffe, sie wird vor mir sterben, ohne mich müßte sie im Winter elend umkommen. Ich binde sie jetzt im Stall nicht mehr fest. Wenn mir etwas zustoßen sollte, wird sie wenigstens die Tür einrennen können und nicht verdursten müssen. Ein kräftiger Mann könnte den schwachen Riegel lockern, und Bella ist stärker als der stärkste Mann. Mit diesen Ängsten muß ich Tag und Nacht leben; auch wenn ich mich dagegen wehre, fließen sie immer wieder störend in meinen Bericht.
    Nach der kurzen Regenzeit blieben mir noch wenige Wochen bis zur Heuernte. Ich wollte mich in dieser Zeit erholen und kräftigen. Es wurde wieder warm, aber nur um die Mittagszeit heiß. Die Nächte waren in dieser hohen Lage empfindlich kühl. Es regnete selten, nur nach Gewittern, aber heftig und ausgiebig. Nach einem Gewitter war es auf der Alm schon wieder sonnig, wenn im Talkessel noch tagelang die Nebel hingen. Alle Tiere gediehen und waren glücklich in ihrer Freiheit,also konnte auch ich zufrieden sein. Nur der Gedanke an die alte Katze quälte mich manchmal. Es kränkte mich, daß sie es vorzog, in der einsamen Jagdhütte zu hausen, statt hier bei mir, bei fetter Milch, nachts durch die hohen Gräser zu streifen, auf der Suche nach reicher Beute. Kurze Zeit später konnte ich mich davon überzeugen, daß sie wirklich in die Jagdhütte zurückgefunden hatte. Nach einem heftigen Regenguß ging ich ins Tal, um den Acker zu jäten. Als ich das Jagdhaus betrat, sah ich gleich die kleine Mulde im Bett. Die Katze ließ sich nicht blicken. Ich streichelte das kühle Bettzeug und hoffte, sie würde meinen Geruch erkennen. Ich weiß nicht, ob sie dazu fähig war, nach meinen Beobachtungen ist es mit dem Geruchssinn der Katzen nicht besonders gut bestellt. Ihr Sinn ist das Gehör. Das Fleisch, das ich zurückgelassen hatte, war unberührt und eingedorrt. Ich hätte es mir denken können, sie war viel zu

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