Die Wand
Nachher reinigte ich den Stall und ging dann indie Hütte, um mich zu waschen, mich umzuziehen und zu frühstücken. Luchs und Tiger tranken kuhwarme Milch und liefen dann ins Freie. Den ganzen Tag über stand die Hüttentür offen, und die Sonne fiel auf mein Bett. War das Wetter einmal kühl und regnerisch, wurde es in der Hütte ungemütlich. Sie war dann nicht viel mehr als ein Dach über dem Kopf, kein Heim wie das Jagdhaus. Aber es regnete nicht oft und nie länger als ein, zwei Tage. Tiger spielte mit Papierbällchen, und Luchs verschlief die Zeit im Ofenloch. Ich befaßte mich viel mit dem kleinen Kater. Übrigens war er gar nicht mehr klein, er war sehr gewachsen, und seine Muskeln hatten sich gut entwickelt. Sein Fell glänzte vor Gesundheit, und sein Schnurrbart sträubte sich dicht und prächtig. Er war ganz anders als seine Mutter, stürmisch, liebebedürftig und immer zu einem Spaß gelaunt. Seine Leidenschaft war Theaterspielen, mit den gleichbleibenden Hauptrollen: wütendes Raubtier, gräßlich und furchterregend; sanftes, sehr junges Kätzchen, hilflos und zu bemitleiden; stiller Denker, erhaben über den Alltag (eine Rolle, die er nie länger als zwei Minuten durchstand), und tiefbeleidigter, in seiner Mannesehre gekränkter Kater. Sein einziges Publikum war ich, denn Luchs schlief bei den Vorstellungen, da sie sich nicht auf ihn bezogen, immer gleich ein. Noch war keine Spur zu erkennen von dem düsteren melancholischen Brüten, das die erwachsenen Katzen zeitweise befällt. Natürlich hatte ich auf der Alm viel Zeit, mich mit Tiger zu befassen, und so kam es, daß ich sein Spielgefährte wurde. Aber viel mehr als an mir hing er an seiner Freiheit. Er konnte es nicht ertragen, eingesperrt zu sein, und überzeugte sich zwanzigmal am Tag, daß Tür oder Fenster offen waren. Die Feststellung genügte ihm meistens, und er ging in den Kasten zurück und schlief. Luchs war längst nicht mehreifersüchtig. Ich glaube, er nahm Tiger nicht ernst. Er spielte wohl manchmal mit ihm, das heißt, er ging gutmütig auf die Spiele des Kleinen ein, aber er scheute seine Temperamentsausbrüche. Wenn Tiger einen seiner Anfälle erlitt und durch die Hütte tobte, sah Luchs mich mit dem Blick eines ratlosen Erwachsenen an, leicht irritiert und ohne Verständnis. Ich durfte nur nie vergessen, ihn zu loben. Er lebte von meinem Lob und wollte immer wieder hören, daß er der beste, schönste und gescheiteste Hund war. Es war so wichtig für ihn wie Fressen oder sich bewegen.
In jenen Wochen auf der Alm setzten wir alle ein wenig Fleisch an; nach der Heuernte wurde ich aber wieder mager, braun wie Holz und von der Sonne ausgedörrt. Aber noch war es nicht soweit. Ich hatte aufgehört, mir die Schwierigkeiten auszumalen, die diese Heuernte mir bringen würde, und fühlte mich sicher wie ein Traumwandler. Wenn es an der Zeit war, würde alles getan werden, was getan werden mußte. Und wie ein Traumwandler ging ich durch die warmen duftenden Tage und die sternfunkelnden Nächte.
Manchmal mußte ich ein Stück Wild schießen. Es war immer noch ein häßliches, blutiges Geschäft, aber es gelang mir, es ohne nutzlose Bedenken fertigzubringen. Die kalte Quelle fehlte mir sehr. Ich mußte das Fleisch vorkochen und stellte es dann in irdenen Töpfen in ein Schaff mit kaltem Wasser in die kühle Kammer. In den Brunnen konnte ich es nicht stellen, weil Bella und Stier daraus tranken. Tiger zog rohes Fleisch vor, und wenn ich kein rohes Fleisch mehr für ihn hatte, begab er sich auf die Mäusejagd. Er war jetzt so weit, daß er zur Not selbst für sich sorgen konnte. Das war gut so, denn vielleicht mußte er sich einmal ganz allein und ohne meine Hilfe durchschlagen. Ich war damals immer hinter Grünzeugher. Jedes Kräutlein, das mir angenehm und genießbar roch, aß ich. Ein einziges Mal irrte ich mich und bekam heftige Bauchschmerzen. Die Brennesseln fehlten mir, ich konnte kaum welche finden. Es schien ihnen auf der Alm nicht zu gefallen. Der ganze Sommer mußte über Land heiß und trocken gewesen sein. Es gab drei oder vier heftige Gewitter, und ein Gewitter auf der Alm schien mir noch ärger zu sein als im Jagdhaus, wo ich mich von den hohen Bäumen und dem hinter dem Haus ansteigenden Berg ein wenig geschützt fühlte. Auf der Alm hausten wir inmitten der tobenden Wolkenmassen. Ich hatte Angst, die mich immer bei heftigem Lärm überfällt, und noch dazu ein sonderbares Schwindelgefühl, das ich noch nie gespürt hatte.
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