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Die Wand

Titel: Die Wand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlen Haushofer
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Tiger und Luchs verkrochen sich zitternd im Ofenloch, was ihnen sonst niemals einfiel. Bella und Stier mußte ich im Stall festbinden und die Fensterläden schließen. Es war mir ein Trost, daß sie zu zweit waren und sich ineinander verkriechen konnten, wenn sie Angst hatten.
    So heftig diese Gewitter waren, am nächsten Morgen war der Himmel heiter, und nur im Tal wogten die Nebel. Es war, als zöge die Almwiese auf den Wolken dahin, ein grünes, feuchtglänzendes Schiff auf den weißen Gischtwellen eines brodelnden Ozeans. Und nur ganz langsam verlief sich das Meer, und die Fichtenwipfel tauchten naß und frisch aus ihm auf. Dann wußte ich, morgen würde die Sonne auch zum Jagdhaus durchbrechen, und ich dachte an die Katze, die ganz allein in dem feuchten Kessel hauste.
    Manchmal, wenn ich Bella und Stier betrachtete, war ich froh, daß sie nichts ahnten von dem langen Winter im Stall. Sie kannten nur die Gegenwart, die zarten Gräser, die Weite der Wiese, die warme Luft, die ihre Flanken streichelte, und das Mondlicht, das nachts aufihr Lager fiel. Ein Leben ohne Furcht und ohne Hoffnung. Ich hatte Angst vor dem Winter, der Holzarbeit in der Kälte und der Feuchtigkeit. Jetzt spürte ich nichts mehr von meinem Rheuma-Anfall, aber ich wußte, daß er sich im Winter wiederholen konnte. Und ich mußte doch um jeden Preis beweglich bleiben, wenn ich mit meinen Tieren am Leben bleiben wollte. Ich legte mich stundenlang in die Sonne und wollte sie speichern für die lange kalte Zeit. Ich bekam keinen Sonnenbrand, dafür war meine Haut viel zu abgehärtet, aber der Kopf tat mir weh, und mein Herz pochte schneller, als es sollte. Obgleich ich sofort ernüchtert von den Sonnenbädern abließ, hatten sie mich so geschwächt, daß ich eine Woche brauchte, um mich von ihnen zu erholen.
    Luchs war sehr unzufrieden, weil ich nicht mit ihm in den Wald ging, und Tiger jammerte und versuchte, mich zum Spielen zu verlocken. Der Juli war gekommen, und ich war schwach und teilnahmslos. Ich zwang mich zum Essen und tat alles, um bis zur Heuernte wieder zu Kräften zu kommen. Um den zwanzigsten Juli war der Mond im Zunehmen, und ich beschloß, nicht länger zu warten und das günstige Wetter auszunützen. An einem Montag stand ich schon um drei Uhr auf, molk Bella, die über diese Unordnung ein wenig ungehalten war, und trug Grünfutter und Wasser für einen Tag in den Stall. Für Tiger ließ ich schweren Herzens das Fenster offenstehen und stellte ihm Fleisch und Milch hin, und nach einem kräftigen Frühstück verließ ich mit Luchs um vier Uhr die Alm.
    Um sieben Uhr stand ich schon auf der Bachwiese und dengelte die Sense. Ich mähte noch immer ein wenig steif und ohne rechten Schwung. Es war gut, daß die Sonne hier erst gegen neun Uhr einfiel, denn ich wareigentlich zu spät dran zum Mähen. Ich mähte drei Stunden lang, und es ging eigentlich besser nach dem weiten Marsch, als ich mir vorgestellt hatte; besser als im Vorjahr, als ich die Sense nach zwanzig Jahren zum erstenmal angerührt hatte und noch nicht an schwere Arbeit gewöhnt gewesen war. Dann fiel ich unter einen Haselbusch und rührte mich nicht mehr. Luchs kehrte von seinen kleinen Stöberfahrten zurück und ließ sich hechelnd neben mir nieder. Ich setzte mich mühsam noch einmal auf und trank Tee aus der Flasche, dann schlief ich ein. Als ich erwachte, liefen Ameisen über meine nackten Arme, und es war zwei Uhr. Luchs betrachtete mich aufmerksam. Er schien erleichtert über mein Erwachen und sprang freudig auf. Ich fühlte mich schrecklich matt, und meine Schultern schmerzten heftig.
    Die Sonne lag mit ihrer ganzen Glut auf dem Hang. Die frisch gemähten Heuschwaden lagen schon welk und glanzlos. Ich stand auf und fing an, sie mit der Gabel umzuwenden. Die Wiese war ein einziges Gesirr von aufgeschreckten Insekten. Ich arbeitete langsam, fast schläfrig, ganz der summenden, heißen Stille hingegeben. Luchs, der sich überzeugt hatte, daß mit mir alles in Ordnung war, trabte zum Bach und trank in langen, schlappenden Zügen, dann legte er sich in den Schatten, Kopf auf den Pfoten, das kummervoll gefaltete Gesicht ganz von den langen Ohren bedeckt, und döste vor sich hin. Ich beneidete ihn.
    Als ich mit dem Umwenden fertig war, ging ich zum Jagdhaus. Die Katzenmulde auf meinem Bett stimmte mich ein wenig fröhlicher. Nachdem ich Luchs gefüttert und auch selber ein wenig kaltes Fleisch gegessen hatte, setzte ich mich auf die Bank vor dem Haus. Ich rief nach der

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